Das Verschwinden von Traum und Ekstase in der Kulturgeschichte

Von Prof. Dr. Torsten Passie

 

Will man verstehen, warum veränderte Zustände des Bewusstseins wie Traum, Trance und Ekstase einem langwährenden Prozess kultureller Ausgrenzung unterliegen, so ist man gehalten, den kulturgeschichtlichen Kontext zu skizzieren, in dem diese Ausgrenzung stattgefunden hat. Veränderte Bewusstseinszustände verweisen auf den verborgenen Bereich der inneren Welt und des Imaginären, deren Wahrnehmung sich seit den frühen Tagen der Menschheit stets mit der sinnlichen und kognitiven Wahrnehmung von Umwelt überlagert hat (Gloy 1995). Nicht zuletzt geht es in diesen Zuständen um ein verstärktes Gewahrsein des inneren Erlebens. Noch heute wird in vielen Kulturen das innere Erleben absichtlich rituell gesteigert; sei es durch Atemtechniken, Meditation, Fasten, Beten, Tanzen, Trommeln oder die Einnahme bestimmter Pflanzen.

Eine bedeutende Implikation ekstatischer Zustände ist es, dass sie – unter anderem – Erfahrungen einer Beseeltheit der Dinge und der Lebendigkeit der ganzen Schöpfung vermitteln. Die daraus tendenziell hervorgehende pantheistische Weltsicht ist mit den monotheistischen Religionen wie dem Christentum nicht vereinbar, ja steht ihnen sogar entgegen. Die von der Aufklärung und der Naturwissenschaft geprägte Moderne räumt dem Materiell-Realen, jenem dem Anschein nach Objektiven, absoluten Vorrang ein. Das dem Subjektiven zugerechnete innere Erleben wird dagegen weniger gewürdigt und in die Sphäre des Privaten verlagert, wenn nicht verbannt. Dies gilt insbesondere für den Bereich des Gefühlserlebens. Unser Fühlen trägt und leitet zwar unser alltägliches Leben und Erleben. Wir in den westlich geprägten Kulturkreisen tendieren dazu, das Fühlen von der rationalen Verstandeslogik abzukoppeln und unsere Gefühle oft als störenden Ballast oder beeinträchtigende Interferenzen einzuordnen. Auch weil Gefühle uns von der Welt der Gemeinschaft entfremden oder unser Ich verführen können, unsere persönlichen Bedürfnisse in den Vordergrund zu bringen, wurde in den westlichen Kulturen das Fühlen zunehmend als Störfaktor in einer an Funktionalität, Rationalität, Technik und Ökonomie ausgerichteten Welt betrachtet.

Traum, Trance und Ekstase waren die außergewöhnlichen Bewusstseinszustände, über die der vorgeschichtliche Mensch meinte, einen Kontakt in die jenseitige Welt, die in seiner Sicht die Geschicke der diesseitigen Welt bestimmt, gefunden zu haben. Zunächst hatten vermutlich vereinzelte Nahtod-Erfahrene von ihren „Jenseits“-Visionen berichtet, die sie „nach dem Tod“ erlebt hatten, und so das Bild von einer jenseitigen Welt und einer womöglich überlebenden Seele geprägt (Metzinger 2005). In deren Gefolge lernten die Schamanen, verschiedene Methoden zur Erzeugung tiefer Trance- und Ekstasezustände zu nutzen, mit deren Hilfe sie Einblicke in die „jenseitige Welt“ bekommen konnten. Dort konnte man Geistern und Göttern begegnen, sie gütlich stimmen oder in Krankheitsfällen die verlorengegangene Seele „zurückholen“. Diese Zustände besaßen demzufolge eine zentrale Vermittlerfunktion im Bezug auf das Verhältnis von diesseitiger und jenseitiger Welt. Sie waren von daher überlebenswichtig in der Perspektive dieser Völker. Der deutsche Ethnologe Theodor-Wilhelm Danzel hat den vorgeschichtlichen Menschen als Homo divinans (der magische Mensch) charakterisiert, der sich im Zustand undifferenzierter Bewusstheitlichkeit ursprünglichen Erlebens befindet – im Unterschied zum Homo faber (lat.: der Mensch als Schmied), der die Welt handelnd und technisch tätig angeht. Er hat ganz besonders auf die „hohe Bewertung der Ekstase durch den Homo divinans“ hingewiesen (Danzel 1928: 75).

 

Vorzeitliche Weltwahrnehmung

Geht man in der Menschheitsgeschichte mehrere Jahrtausende zurück, so wird klar, dass damals eine ganz andere Art und Weise der Weltwahrnehmung vorherrschte. Den Menschen war die Eigenbewegung der Natur, wie sie in den Tieren, Pflanzen, aber auch im Wetter ganz spürbar zum Ausdruck kam, nicht erklärlich; auch nicht die Gesetze, denen diese Bewegung folgte. Vermutlich deshalb war er geneigt, sich alle Gegenstände und Vorgänge in der äußeren Natur als beseelt vorzustellen. Die kreatürlichen, sich ohne Zutun des Menschen entfaltenden Kräfte und Energien – seien es Geburt und Tod – wurden zwar wahrscheinlich als Bedrohungen erlebt, aber zugleich auch in der Anbetung als sichernde und zwar über das menschliche Vermögen hinausgehende Sicherheiten erlebt; zumindest wenn man sich in der Lage sah, diese Kräfte positiv zu stimmen. Aus religionshistorischer Perspektive könnte – kurz gefasst – davon gesprochen werden, dass der Mensch die Natur vergötterte und die kreatürlichen Kräfte verehrte. Er wird wahrscheinlich, so die Geschichtsschreibung, sein Eingreifen in die Natur, um sich etwa Nahrung und Brennmaterial anzueignen, als eine „Verletzung“ der Natur erlebt haben. Da er dieses „Unrecht“ als ein schuldhaftes Tun erlebt haben mag, wird es ihm darum gegangen sein, sich von dieser Schuld zu befreien und die womöglich dadurch verstimmten Kräfte der Natur wieder zu besänftigen. Es wird in diesem Zusammenhang auch von „mythischen Verträgen“ gesprochen, in die der vorgeschichtliche Mensch mit der Natur eingebunden gewesen sei. Rituelle Feste hätten als Momente des „Waffenstillstands“ gedient, in denen diese ständigen Auseinandersetzungen von Mensch und Natur zeitweilig ausgesetzt worden seien (vgl. Helfman 1969).

Da er die Natur für undurchsichtig gehalten, sich nicht als ihr gegenüberstehend definiert habe, sei der vorgeschichtliche Mensch darauf orientiert gewesen, sich die Kräfte der Natur in der Weise nutzbar zu machen, dass er versuchte, sich den Naturkräften anzugleichen, es „ihnen gleichzutun“ und sich dadurch ihrer zu versichern, ja sich mit ihnen zu vereinigen.

Geht man vom Tierreich aus, so können zwei grundsätzliche Strategien im Umgang mit Raubfeinden benannt werden. Zum einen das Sichbewaffnen, um im Kampf mit den Raubfeinden bestehen zu können, und zum anderen die Möglichkeit, sich zu verstecken, sich unsichtbar für den Feind zu machen. Darin bestand also eine Macht der Natur, die sie den Lebewesen geschenkt hatte: sich sehr gut verstecken zu können, indem man sich der umgebenden Natur soweit als möglich „ähnlich“ macht, sich mimetisch angleicht. Diese Macht konnte man nutzen, indem man mit den Kräften der Tiere über entsprechende Verkleidungen, aber auch Bewegungen und Tänze, welche diese Tiere nachahmten, in Berührung ging. Auf diese Weise ging man in eine Identifikation mit den Tieren, aber zugleich auch den Kräften, die diese verkörperten. Dies wird auch als das „mimetische Zeitalter“ bezeichnet (Helm 2002). Aus dieser, wenn man so will, „identifizierenden Partizipation“ (“participation mystique” nach Levy-Bruhl 1930) trat der Mensch später sukzessive heraus und stellte sich den Dingen objektivierend gegenüber. Er gelangte in diesem langen Prozess zu einer zunehmenden Unterscheidung von Ich und Nicht-Ich, von Zustand und Gegenstand, von Subjektivem und Objektivem, die vorher noch ungeschieden in ihm existierten.

„Das ursprüngliche Erlebnis steht also ursprünglich jenseits des Gegensatzes von subjektiv und objektiv in Indifferenz. ... Dem Homo divinans, der noch nicht scharf Objektives und Subjektives trennt, werden die Gegenstände der Außenwelt (das Objektive) zu Trägern, zu Vergegenständlichungen von Gefühlen (von Subjektivem), die er gleichsam in sie ‚hineinerlebt’, hineinlegt. ... die Objektivität wird von Subjektivität überwuchert, das, was die Dinge ‚für sich’ sind, ist dem Homo divinans in dem, was sie ‚für ihn’ sind, aufgehoben“ (Danzel 1928: 43ff.). Als Beispiel mag man sich vergegenwärtigen, dass es nicht ganz klar ist, dass ein Bildnis eines Löwen nicht die gleiche Angst hervorruft wie ein tatsächlicher Löwe. Erst eine „kritische Realitätsprüfung“ unter Aussetzung der ersten emotionalen Reaktion kann uns in die Lage versetzen, einen Unterschied dieser beiden Löwen als Tatsächlichkeit anzunehmen und damit vor dem einen Abbild oder seinem Schritt ähnelnden Geräuschen keine Angst zu haben, aber vor dem anderen sehr wohl. Für diese Art von distanznehmender Unterscheidung ist allerdings unabdingbar, dass wir uns dem Gegenstand „gegenüberstellen“; ihn von dem bloßen Eindruck zu unterscheiden lernen. Das heißt, die zunächst induzierte subjektive Befindlichkeit (Angst) von dem tatsächlichen Gegenstand und seiner Bedeutung für uns zu unterscheiden. Der Erkennende soll am Gegenstand der Erkenntnis nicht mehr partizipieren, sondern sich von ihm affektiv distanzieren, um zu unterscheiden, wie etwas sich ihm darstellt und wie es „wirklich ist“. Der bekannte Anthropologe Ernst Mühlmann spricht von einer Veränderung der Lebensordnungen; von einer das Eingewoben- und Bestandteilsein betonenden „sinnlich-sympathischen“ Lebensordnung hin zu einer „geistig-logischen“ Lebensordnung, die den Menschen der Umwelt objektivierend gegenüberstehen lässt (Mühlmann 1986).

Da weder Herkunft noch Ordnung der Dinge aus ihnen nicht erklärlichen Gesetzmäßigkeiten der diesseitigen Welt als Ursachen nachvollziehbar waren, tendierte der Homo divinans dazu, sich diese Vorgänge als aus einer jenseitigen Welt heraus gesteuert vorzustellen. Um Einfluss zu nehmen oder auch nur um Schlimmeres zu verhindern, versuchte er, mit den Kräften der jenseitigen Welt in Kontakt zu kommen, diese zu besänftigen und in eine zuträgliche Richtung zu lenken. Der Zugang zur jenseitigen Welt, so erschien es ihm, konnte über Zustände wie Trance, Traum und Ekstase hergestellt werden. Diese schienen Einblicke in eine andere, jenseitige Welt zu ermöglichen. Von daher galt es, diese Zugangswege zu kultivieren und zum Wohlergehen der Gemeinschaft zu nutzen. Da es ganz offenbar schon immer mehr oder weniger begabte Menschen gab, denen der Zugang zu dieser jenseitigen Welt des veränderten Bewusstseins leichter fiel als anderen, wurden die dafür Begabten einer besonderen Ausbildung zum „Schamanen“ unterzogen und waren für die Kontakte und die Beeinflussung der jenseitigen Welt zuständig. Sie waren die Kundigen im Bereich der veränderten Bewusstseinszustände, die „Meister der Ekstase“ (Eliade 1957). Sie sollten – unter Einbeziehung jenseitiger Kräfte – bedrohende (Natur-)Kräfte besänftigen, Geister umstimmen, Geschehnisse deuten und vorhersagen sowie verlorengegangene Seelen(anteile) zurückbringen und Krankheiten heilen.

 

Rituale, Mimesis und Subjekt-Objekt-Trennung

Während ekstatischer Rituale ist die Trennung von Subjekt und Objekt, von erlebendem Menschen und Umwelt zeitweilig aufgehoben. In Momenten des Aus-Sich-Heraustretens in der Ekstase, welche Zuständlichkeiten voraussetzen, die kaum objektivierbar und nur schwerlich sprachlich fassbar sind, erlebt der Mensch sich jenseits von Raum und Zeit. Er gibt dabei die Kontrolle auf, welche die Subjekt-Objekt-Trennung konstituiert. Er gerät außer sich, wieder in ein Erleben von sich selbst als Naturwesen, und ist von seiner objektivierenden Distanznahme „entfesselt“. Ekstatische und orgiastische Feste waren als Fruchtbarkeitszauber weit verbreitet und dienten der Verehrung der kreatürlichen Kräfte, aber zugleich auch dem Wiedererleben des Menschen als Naturwesen, welches eins mit der Natur ist. Durch rituelle Mimesis „... kann der Mensch, der in der Welt des Handelns nur ein Teil ist, das Ganze sein, allerdings um den Preis, dass er momentan die Herrschaft über sich selbst verliert...“ (Lenk 1983). Ein solches Erleben wird typischerweise mit einem „Kontrollverlust“, einer Veränderung, einem Zurücktreten der Selbstkontrolle assoziiert.

Ein gutes Beispiel dafür sind die ekstatischen Tanzkulte, wie sie schon seit der Steinzeit dokumentiert sind (Frobenius 1931, Lhote 1963). Das gemeinsame Tanzen bis zur Ekstase erscheint in seiner nahezu universellen Verbreitung als ein kultureller Archetyp, der sich in ständig neuen Formen über die Zeiten und Orte hinweg wiederfinden lässt (van Baaren 1964). Zumeist in der freien Natur berauschen sich die Teilnehmer an psychoaktiven Pflanzen, tanzen exzessiv nach stampfenden Rhythmen und verbinden sich darüber mit einer mystischen Gottheit. Es scheint, als würde der Mensch durch die Rhythmen durchgerüttelt, bis die innere Zerrissenheit und Abspaltung von der Umwelt in der lösenden Ekstase wieder aufgehoben scheinen. Ekstatische Tanzkulte gehören zu keiner organisierten Religion und sind an keinen bestimmten Ort gebunden. Bekannt sind heute noch die indianischen Powwows, die afrikanischen Trancetänze oder die asiatischen Shiva-Tänze. Doch soll auch auf die antiken dionysischen Tanzkulte der Hekate und Artemis hingewiesen werden. Diese hielten sich bis ins späte Mittelalter, bis sie von der Kirche dämonisiert und verboten wurden. Vermutlich war es jene zunehmende „Ekstaseprohibition“, die zu den mittelalterlichen „Tanzwut-Epidemien“ führte, welche durch ein spontanes Auftreten ekstatischen Tanzens, welches ganze Dörfer ergreifen konnte, gekennzeichnet waren (Hecker 1835).

Zumeist ist durch das Tanzen jenes unser rudimentärstes Identitätserleben fundierende Körpererleben („Proto-Selbst“ nach Damasio 2011) massiv verändert. Es werden keine Grenzen zwischen Körper und Umwelt mehr wahrgenommen, die Augen sind typischerweise geschlossen, die Bewegungen folgen nicht Zwecken oder äußeren Bewandtnissen und es sind auch eigene innere Vorgänge nicht mehr mit Distanz erfahrbar. Das innere Erleben ist stark von Gefühlen und vielleicht Bildern eingenommen. Die erlebten Gefühle haben meist positive Konnotation und beglückenden Charakter („ich schwebte davon“, „eins mit dem Himmel“), können aber auch den anderen Teil des Weltlichen, die Konfliktlagen und Antagonismen, kriegerische Naturzustände und infernalische Eindrücke vermitteln. Insofern gibt der Entrückungszustand durchaus konfligierenden Dimensionen Raum. Auch die lineare Zeitwahrnehmung erscheint aufgehoben („wie eine Ewigkeit“).

 

Götterbilder und Bewusstseinsentwicklung

Für den vorgeschichtlichen Menschen hat eine Götterwelt im Sinne von der Natur separierbarer Entitäten nicht existiert. Er nahm vermutlich die gesamte Natur als beseelt wahr und erkannte ihr als Gesamtheit eine göttliche Wirklichkeit zu. Lediglich Anteile abzuspalten mag er gewohnt gewesen sein und für separate Entitäten gehalten haben. Zeugnisse aus Kulturen vieler noch heute auf urgeschichtlichem Niveau lebender Völker, aber auch kulturhistorische Artefakte weisen darauf hin, dass der Mensch in früher Zeit die Erdkröte als Repräsentantin der Natur wahrgenommen und dieser einen gottähnlichen Status zuerkannt hat. Die Verehrung dieser unscheinbaren Kreatur mag einen noch heute nachvollziehbaren Grund gehabt haben. Sieht man eine Kröte, die halb in der Erde eingegraben ist und mit dem Rest ihres Körpers zwar aus der Erde herausragt, aber durch die extreme Anpassung der Haut an das Umgebungsmilieu wie ein weiteres Stück Erde erscheint, so kann es wirken, als wären Erde und Kröte eins, als seien sie ein Identisches und nicht zwei voneinander unterscheidbare Wesen. Das Einzige, was die Kröte noch – sie von der Erde unterscheidend – nach außen sichtbar werden lässt, sind ihre Augen, die dann wie die „Augen der Erde“ erscheinen können. Aus diesem Grund mag es dem vorgeschichtlichen Menschen (doch nicht nur diesem) so erschienen sein, dass ihn durch die Augen der Kröte „die Erde ansieht“.

Dahinter stünde dann ein Bild von der Natur als das eines alles umfassenden Wesens, das der Mensch zu gewärtigen hat und vor dem er sich – im Sinne der mythischen Verträge – bezüglich seines Eingreifens zu verantworten hat. Damit einhergehend werden die sich unabhängig vom menschlichen Tun und Lassen vollziehenden kreatürlichen Lebenskräfte (z.B. Geburt, Tod, Traum, Wahnsinn) angebetet oder gefürchtet wie auch in orgiastischen Festen des Fruchtbarkeitszaubers verehrt, indem man sich zeitweilig in Naturgeister „zurückverwandelt“. Von diesem die gesamte Natur repräsentierenden gottartigen Wesen ist die Menschheit im Rahmen der schon oben angedeuteten Prozesse der zunehmenden Distanzierung von der Natur, der Scheidung von Subjekt und Objekt weitgehend abgekommen. Einen ersten Kulminationspunkt dieser Entwicklung stellt die griechische Götterwelt dar. In dieser sind die Götter als in einem Götterhimmel wohnend vorgestellt und in ihren wesentlichen Charakteristiken dem Menschen gleichgestellt bzw. in wesentlichen Aspekten, auch dem des Umgangs untereinander, den Menschen stark ähnelnd. Es kam zu einer Übertragung religiöser Attribute von den alten Erdgottheiten auf die neuen Staatsgötter in Menschengestalt. Zudem bestand das Götterzelt vor allem aus männlichen Göttern, und die weibliche Gaia hatte ihren Einfluss nur noch unter der Erde. Vom mythischen Mord am Urwesen Erdmutter und dem Gewahrsein eines außermenschlichen Kräftewerks kommt es zum Wechsel zu einem menschenähnlichen Göttergericht; später dann zur Vorstellung eines unfehlbaren monotheistischen Gottes als Baumeister oder Weltenlenker. Diese Menschengleichheit der Götter, wie sie im Griechentum etabliert wurde, führt neben der Vermenschlichung der Götterwelt auch zu einer Entmachtung der Natur und der kreatürlichen, nicht vom Menschen gemachten bzw. bestimmten Kräfte und Vorgänge. Im Gefolge der Entmachtung der Natur erfahren auch die vordem hinter den sichtbaren Naturkräften stehenden jenseitigen Weltbewandtnisse und die dahin vermittelnden Zugangsmöglichkeiten wie Traum, Trance und Ekstase eine Entwertung.

Allerdings existierte in der antiken Götterwelt auch ein Gott, der den Rausch, die Ausschweifung, den Sinnengenuss verkörperte: Dionysos. Er war der natürliche Gegenspieler von Apollon, der als Herrscher im Reich des Klar-Geformten, des Weisheitsvoll-Ruhenden galt. Dionysos ist Herr im Dynamisch-Bewegten und Leidenschaftlich-Ekstatischen (Rohde 1898). Dazu schreibt Friedrich Nietzsche: Entweder durch den Einfluss des narkotischen Getränkes, von dem alle ursprünglichen Menschen und Völker in Hymnen sprechen, oder bei dem gewaltigen, die ganze Natur lustvoll durchdringenden Nahen des Frühlings erwachen jene dionysischen Regungen, in deren Steigerung das Subjektive zu völliger Selbstvergessenheit hinschwindet ... Unter dem Zauber des Dionysischen schließt sich nicht nur der Bund zwischen Mensch und Mensch wieder zusammen, auch die entfremdete, feindliche oder unterjochte Natur feiert ihr Versöhnungsfest mit ihrem verlorenen Sohn, dem Menschen(Nietzsche 1954). Unter diesem Gesichtspunkt erscheint Dionysos als ein Statthalter der Ekstasen, der einzig aus dem vorgeschichtlichen Zeitalter noch verbliebene.

 

Stabilität und Ordnung

Schon immer hat vermutlich der Wunsch nach Stabilität und Ordnung die Menschen begleitet. Stabilität und Ordnung erstrebte man nicht zuletzt, um das Überleben zu sichern und sich von den der eigenen Macht entzogenen Naturkräften unabhängig zu machen. Der antike Philosoph Heraklit (520–460 v. Chr.) hat diesen Prozess der Ablösung von der Unmittelbarkeit des Subjektiven durch eine Vorstellung einer in zwei Welten geteilten menschlich-sozialen Wirklichkeit verdeutlicht. Demnach ist die Erfahrungswelt des Menschen unterteilt in den Idios-Kosmos, d.h. die Welt des Subjektiven, privaten Erlebens und Denkens, und den Koinos-Kosmos, die Welt des Gemeinsamen, des mit anderen Geteilten, des Consensus communis.

Vielleicht kann die von Heraklit angeführte Welt des Traumes als ein Extrempol dieser beiden Welten gelten. Der Traum ist das stärkste Beispiel für die Zugewandtheit zur inneren, privaten Welt. Er ist eine Welt des völlig subjektiven Erlebens, in welchem selbst die basalsten Naturgesetze außer Kraft gesetzt sein können. So kann der Apfel nach oben fallen und die Zukunft vor der Vergangenheit stattfinden. Hier herrschen lediglich Einbildungs- und Vorstellungskraft und das, was aus der Seele und dem Geist des Menschen erwächst – ohne Rücksicht auf das Reale, jenes in der Wirklichkeit des Wachseins fassbar Gegebene.

Das Beheimatetsein im Koinos-Kosmos bedeutet dagegen die Ermöglichung der Verständigung mit anderen im Konsens, in der intersubjektiven Übereinstimmung in der Welt des gemeinsam Bestimmbaren. Im Koinos-Kosmos beziehen sich die Menschen auf eine gemeinsame, von allen in ihren Grundfesten anerkannte Welterfahrung. Dies macht nicht zuletzt über das Instrument der Sprache eine Verständigung über konkrete und – mittels des von den Affekten weitgehend abgelösten Denkens – zunehmend abstraktere Sachverhalte möglich. Da man auf der Suche nach einer Stabilität und Ordnung vermittelnden Weltsicht und Wirklichkeitsdeutung war, kam man zu dem Schluss, dass die Welt des Koinos-Kosmos die bedeutsamere sei und nur diese Welt eine universale Form der Verständigung impliziere und damit ein konsensbestimmtes Handeln ermögliche. Von daher deutete Heraklit das Bezogensein auf den Koinos-Kosmos als „Einigung“ und das Sichverlieren / Eingelassensein in die subjektive Privatwelt des Idios-Kosmos als „Zerstreuung“.

Jeder Mensch lebt nun aber in beiden Welten, und so kann man lediglich eine der Welten versuchen zu begünstigen, sie in ihrer Bedeutung zu stärken und höher zu bewerten. Eigenes, privates Denken sei, so Heraklit, „bloßes Dahinträumen“. Dies impliziert jedoch zugleich eine Abwertung der anderen, subjektiven Welt. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass jeder Mensch in einer Relation oder individuellen Proportionierung dieser Welten zueinander lebt. Diese kann sich schon von Tag zu Tag unterscheiden, tut dies aber in der Regel nicht; wir sind gewöhnlich in einem bestimmten Maße subjektiv und in einem bestimmten Maße „objektiv“, d.h. dem intersubjektiven Konsens und einer von allen weitgehend gleich erlebten Wirklichkeit verbunden. Kommt es nun zu einer stärkeren Verschiebung zugunsten des Subjektiven, so kann es zu einer „Verrücktheit“ des Betreffenden kommen, da dieser sich zu sehr in den Bezügen seiner privaten Welt verliert und damit nicht mehr in den Konsens der gemeinsamen Welt eingebunden werden kann (Binswanger 1947). In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass der Ursprung des Begriffes „Idiot“ auf Heraklits Unterteilung der Welten zurückgeht und einen Menschen bezeichnet, der sich in seinen privatweltlichen Bezügen verloren hat.

Somit wurden nicht mehr Traum, Trance und Ekstase als Beglaubigungen der Wahrheit angesehen. An ihre Stelle trat das Ideal der leidenschaftslosen, objektivierenden Betrachtung. Spätestens das rational-logische begriffliche Denken lässt den Menschen aus dem unmittelbaren Zusammenhang mit der Natur weitgehend heraustreten. In der Konsequenz ergibt sich daraus, dass das Wachsein und Sich-im-Konsens-Befinden als Erwecktsein aus dem Subjektiven betrachtet wurde und weiterhin, dass der Mensch vor die Alternative gestellt ist, mit seinem, ihm von den antiken Philosophen bescheinigten geistigen Vermögen am „göttlichen Verstande“, dem Logos, teilzuhaben oder Opfer der Täuschung zu werden. Daher bildete sich die Tendenz aus, das nüchterne, konsensfähige Wachsein als ethische Kategorie zu deuten: Der Traumzustand markiere den Gegenpol einer Teilnahme am göttlichen Verstande, sei Täuschung und Unwahrheit und entspreche somit dem Bösen. Der französische Moralist Emile Alain (1868–1951) fasst es später so: „Die Welt ist nicht ein zweiter Traum, sondern die Wahrheit des Traumes, und diese Wahrheit ist dem Handeln, dem Wachsein eigen, nicht dem Schlaf“ (Alain 1986: 292). Diese Abgrenzung vom Subjektiven, jenem nicht Objektivierbaren bezeichnete der antike griechische Philosoph Platon (428–348 v. Chr.) als eine Ablösung der Vernunftform von der Traumform. Nur die Vernunftform garantiere Sicherheit, Berechenbarkeit sowie eine dauerhafte und unzweideutige Faktizität. Platon lehrte, es gehe nicht an, zum Sternenhimmel aufzuschauen wie zu einer geschmückten Zimmerdecke. Der sichtbare Sternenhimmel sei ein schöner Anblick, aber es sei doch unendlich schöner, die himmlischen Bewegungen zu verstehen; und dazu reiche die sinnliche Beobachtung nicht, sondern nur das logische Denken.

 

Christentum, Kirche und der Prozess der Zivilisation

Das Christentum war vom Beginn an gegen das Mimetische gerichtet. Seine Grundanschauung liegt auf folgender Linie: Je näher das Erleben dem Traum oder den kreatürlichen Kräften, desto dämonischer ist es; je weiter es sich von der Natur entfernt, desto göttlicher ist es. Diese Abkehr von der Verehrung des Kreatürlichen korreliert mit der Verobjektivierung der Welt, mit ihrer Entzauberung, aber auch der Entwicklung einer ausbeuterisch eingeengten Wirklichkeitsschau, deren zentrales Anliegen es ist, die Kräfte der Natur zu bändigen und dem eigenen Nutzen zu unterwerfen. Um die Gesetzmäßigkeiten der Naturvorgänge nachvollziehbar zu erschließen, sind eine gemeinsame Verständigung, Konsens im Glauben, Abstrahieren und logisches Denken erforderlich. Dasselbe gilt für die Etablierung eines verbindlichen menschlichen Verhaltenskodex, wie ihn etwa die Zehn Gebote verkörpern.

Aus diesem Grund wurden mystische Kulte und Rituale seit dem 4. Jahrhundert vom Christentum und den meisten anderen modernen Religionen abgelehnt. Ein bedeutender Religionskrieg wurde in den Jahren um 390 n. Chr. um die letzten verbliebenen naturreligiösen Kulte, die Tempelanlage und den Kult im griechischen Eleusis, geführt. Der Sinn der ekstatischen eleusinischen Einweihungsmysterien war es, sich ganz auf den ewigen Kreislauf des Werdens und Vergehens einzulassen und sich als Teil dieser ewigen Wirklichkeit zu erfahren. Die Christen gewannen, und der letzte abendländische Mysterienkult, in dem ein Trank mit vermutlich psychedelischen Inhaltsstoffen verabreicht wurde (Wasson et al. 1979), bestand nicht mehr.

Seit dieser Zeit ist das Interesse an veränderten Bewusstseinszuständen zwar weiter lebendig geblieben, doch wurden die damit zusammenhängenden Zustände und Rituale zunehmend marginalisiert (Ott 1995).

Obgleich das Christentum das Mimetische ablehnte und die ekstatischen Zustände für Täuschung und dem Heidentum zugehörig erachtete, ist doch bekannt, dass einige der biblischen Propheten ekstatische Zustände erlebt haben (Jacobi 1920). Somit war man kirchlicherseits gehalten, letztlich – mindestens auf theoretischer Ebene – eine differenzierte Haltung gegenüber den ekstatisch-mystischen Erfahrungen einzunehmen. In diesem Zusammenhang stellte sich für die Kirchenvertreter zunächst die Frage nach der „Berechtigung“ der Ekstase, das heißt, nach der wie auch immer gearteten Wirkung auf den Gläubigen (Poulain 1925, Garrigou-Langrange 1927). Kommt es bei diesem zu einer Läuterung, einer spirituellen Fortentwicklung oder verleitet ihn das Erlebnis zu einer Subjektivierung von Haltung, Werten und Welterfahrung, einem Abkommen vom Gottesglauben und der Offenbarung? Trotz der in der weiteren Kirchengeschichte nachweisbaren Tendenz zur Diskriminierung ekstatisch-mystischer Erfahrungen, die nicht zuletzt in der Auseinandersetzung der „Kirchenväter“ Thomas von Aquin (1225–1274) und Meister Eckhardt (1260–1328) prägnanten Ausdruck fand, schlussfolgerte die Kirche, dass es durch diese Erfahrungen auch zu einer Bereicherung, zu einer Ausweitung des Gottes- und Weltgefühls bei den Gläubigen kommen könne (Garrigou-Langrange 1927). Allerdings wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass ekstatische Erfahrungen bei Heiligen sich nur selten finden und von daher für ein christliches Leben kein Erfordernis darstellten (Poulain 1925).

Aufgrund der Intensität und Eindrücklichkeit ekstatischer und mystischer Erfahrungen sowie das diesen Erfahrungen innewohnende Erleben einer Gewissheit der Wahrhaftigkeit des Erlebten deuteten die Betroffenen ihre Erfahrungen nicht selten als offenbarungsäquivalent. Dies stellte aus Sicht der Kirche die Unzweifelhaftigkeit der biblischen Offenbarung in Frage. Deshalb wurde von einer Gefahr durch „Privatoffenbarungen“ gesprochen, welche die Deutungshoheit und den Frieden der Kirche gefährden würden, so dass eine Möglichkeit gefunden werden musste, institutionelle Gegengewichte aufzubauen, die mittels Tradition, institutioneller Macht und entsprechenden „Prüfverfahren“ sicherstellten, dass Subjektivität, Rausch und Ekstase in angemessener Weise gedeutet, eingeordnet und gegebenenfalls diskriminiert wurden. Nicht zuletzt hierdurch kam es zu einer fortschreitenden Domestikation religiöser Erfahrungen (Josuttis 1987).

Als Konsequenz dieser Entwicklung resultierte im Verlauf des Mittelalters eine zunehmende Diskriminierung ekstatischer Zustände und es kam zu einer weitgehenden Ausscheidung von Traum, Rausch und Ekstase sowohl aus den kirchlichen Kulten als auch aus der privaten Lebenspraxis. Nicht zuletzt Aufklärung und Reformation begünstigten eine Abhebung der Religion von ihrer Erfahrungsbasis (den religiösen Erlebnissen) und leisteten einer Rationalisierung der Religion Vorschub.

Um den weiteren Gang der Geschichte besser verständlich zu machen, soll hier ein kurzer Exkurs zur Theorie des Zivilisationsprozesses eingeschaltet werden. Der von Norbert Elias sorgfältig skizzierte Prozess der Zivilisation führte, insbesondere im Verlauf der letzten Jahrhunderte, zu einer durchgreifenden Disziplinierung und Abdrängung der Gefühlswelt. Auch Sigmund Freud hat diese innere Disziplinierung als eine generelle Bedingung für Zivilisation, als das «Unbehagen in der Kultur» (Freud 1948) dargestellt. Zentral sind nach Elias’ Darstellung die Prozesse der Affektkontrolle und der Affektdisziplinierung. Diese seien essentieller Bestandteil des Zivilisationsprozesses. Diese Vorgänge hat Elias exemplarisch anhand der Ausbildung der Tischsitten untersucht. Deren Einhaltung zu erreichen, wie es jeder, der Kinder großgezogen hat, gut nachvollziehen kann, hat ganz unmittelbar mit der Kontrolle von Verhalten und Affekten zu tun. Über diese stete, mehrmals tägliche Beeinflussung werden Kinder und Jugendliche an die Einhaltung bestimmter ritueller Abläufe gewöhnt und erlernen die differenzierte Kontrolle eigenen Fühlens und Verhaltens. Es wird ihnen über Affekt- und Verhaltenskontrolle „zivilisiertes Verhalten beigebracht“ und nachhaltig eingeprägt. Ein weiterer wesentlicher Prozess, der nach Elias den Verlauf des Zivilisationsprozesses kennzeichnet, sei die Verinnerlichung von Verhaltensnormen, insbesondere solchen der Zeiterfahrung. Da früher Uhrwerke nicht wirklich verbreitet waren, wurde die Internalisierung zeitlicher Normen vor allem über die Kirchenuhren und deren regelmäßiges Läuten realisiert. Später kam im Rahmen der technischen Industrialisierung die Disziplinierung durch maschinelle Produktionsprozesse hinzu. Die Beziehung zu den Gegenständen der umgebenden Welt sei immer weitgehender durch den Nutzen, den diese für den Menschen haben könnten, geprägt worden. Diese Nutzensorientierung finde auch in einer Veränderung des Körperbewusstseins ihren Ausdruck. Der Körper werde von einem sinnlichen, hedonistischen Empfinden während des zivilisatorischen Disziplinierungsprozesses zu einem Instrument des Arbeitsprozesses und solle sich primär dem Gebot einer dafür dienlichen Fitness unterwerfen. Im Rahmen des Prozesses der Affektdisziplinierung wurden sukzessive alle „abgründigeren“ Emotionen aus dem öffentlichen Verkehr ausgeschieden und dem privaten Bereich überantwortet. Insbesondere sehr intensive und ekstatische Zustände wurden ausgegrenzt oder, wie beim Rausch, pathologisiert.

Mit der Durchsetzung der oben skizzierten abrichtenden Sozialisationsprozesse kam es auch kirchlicherseits zur Durchsetzung von Macht und Kontrolle und zu einer weiteren Dämonisierung kreatürlicher Kräfte bzw. des durch sie getragenen Geschehens, welches sich naturgemäß der menschlichen Kontrollierbarkeit weitgehend entzieht. Die ursprünglich im Fruchtbarkeitszauber verehrten orgiastischen Erfahrungen wurden heidnisiert. An die Stelle einer Horizonterweiterung durch Regression – das heißt, die Rücknahme zivilisatorischer Wahrnehmungskontrolle/-begrenzungen beziehungsweise der Kontrollmechanismen, welche die Subjekt-Objekt-Trennung konstituieren – trat die Besserung und Belehrung des Menschen, die Formung seines Willens und die Prägung seines Bewusstseins. In stärkster Konsequenz findet sich diese neuartige weltanschauliche Grundhaltung bei Calvin. Er propagiert die rastlose Tätigkeit im Dienste Gottes und erwartet dadurch eine Stärkung von Selbstgewissheit und Glauben. Konsequent erachtete er in seiner Vorstellungswelt die Zeitvergeudung als Todsünde. Nur indem der Mensch all seine Zeit gezielt in der Arbeit nutze „um Gottes Ruhm zu mehren“, sei er ausreichend vor Zweifel und Unwürdigkeit geschützt. Die mit einer solchen Selbstdisziplinierung zugleich geforderte Ausschaltung aller ziellosen Tätigkeit hat letztlich, so schrieb der bekannte deutsche Soziologe Max Weber in seiner Untersuchung zur protestantischen Arbeitsethik aus den Jahren 1904/1905, „... einen Menschentyp hervorgebracht, der in seiner innerweltlichen Askese, in seiner durch und durch geordneten Lebensführung vor Erfahrungen, die seine Selbstkontrolle gefährden, zurückschrecken muss“ (Weber 2009).

 

Ausblick

Im westlichen Kulturkreis hat in den letzten Jahrhunderten nur noch ein Rinnsal von mystischer Spiritualität und Innenschau, aber auch ekstatisch-mystischer Rituale weiterexistieren können. Die Verlockung des Mechanischen, des Offensichtlichen und Berechenbaren hat sich offenbar als derart vorteilhaft erwiesen, dass die Menschheit sich ihm wie selbstverständlich und fast vorbehaltslos hingegeben hat, ja sogar geneigt ist, es für das einzig Wirkliche zu halten.

Doch eine Betrachtung der Geschichte ekstatischer Zustände lässt deutlich werden, dass sie nicht zu eliminieren sind, da sie zum Grundbestand menschlicher Erlebnismöglichkeiten gehören; selbst wenn es anscheinend Phasen gibt, in denen sie mehr oder weniger vorkommen, so sind sie doch trotz aller ihnen entgegenstehenden kulturellen Realitäten und Schranken nie wirklich eliminierbar gewesen. Es ist allerdings auch zu sehen, dass sich immer auch gegenläufige Tendenzen gezeigt haben, wenn es zu einem ausgeprägten „Ekstaseentzug“ gekommen ist. Als Beispiele können etwa die mittelalterlichen – teils als „infektiös“ betrachteten – Tanzwutepidemien (Hecker 1835), der italienische Tarentismus (Katner 1956), die ekstatischen Entgrenzungsphänomene der Hippie-Bewegung und ihrer Musik (Miles 2005) und in neuerer Zeit die nahezu globale Rave- bzw. Techno-Tanzbewegung (Collin 1998) gelten. Die letzteren beiden Bewegungen gingen auch mit einem ausgedehnten Gebrauch von ekstatische Zustände stimulierenden psychoaktiven Substanzen wie LSD und MDMA („Ecstasy“) einher. Es könnte spekuliert werden, dass das Aufkommen derartiger, von ekstatischen Ritualen bzw. Erlebnis- und Verhaltensweisen geprägten Bewegungen mit dem Grad des Ekstaseentzuges in Beziehung steht ist. Hierfür spricht, dass die Länder/ Kulturen, in denen der Ekstaseentzug am extremsten ist, auch die stärkste Ausprägung ekstatischer Bewegungen zeigen, wie beispielsweise die vom Puritanismus geprägten Kulturen der USA und Englands. 1978 hat der unkonventionelle Ethnologe Hans Peter Duerr seine gegen den Strich eruierte Geschichte unserer Zivilisation mit den schlussfolgernden Sätzen begonnen: „... dass wir, die Bürger moderner Industrieländer, zwar viele Dinge besitzen und auch viele Einzelheiten wissen mögen, dass unsere Zivilisation jedoch im Verlaufe ihrer Entwicklung eine grundlegende Erfahrung verdrängt hat, die Erfahrung nämlich, dass wir nur wissen können, wer wir sind, wenn wir die Grenzen unserer eigene Lebensform überschritten haben, wenn wir in deren Augen ‚gestorbenoder ‚wildgeworden sind“ (Duerr 1978: 2).

  • Literaturverzeichnis

    Alain (1986) Der Mensch – das ewige Thema. In: Schöndorff F (Hrsg.): Französische Geisteswelt. Hanau, S. 291–304

    Anz P (1995) Techno. Zürich


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