Die Messwerte mit dem zweiten von uns verwendeten Fragebogen, dem PCI, sollen hier nicht detailliert wiedergegeben werden. Sie bestätigen eine Zunahme des positiven Erlebens und eine (schwächere) Verstärkung von negativ erlebten Gefühlsempfindungen. Betrachtet man die drei Subdimensionen der „Positive Affect Dimension“ des PCI, so fällt auf, dass zwar Empfindungen von Freude und Liebe verstärkt erlebt werden, das Erleben aber keine sexuellen Aspekte beinhaltet. Eine sexuelle Erlebniskomponente wäre aufgrund des weiter unten geschilderten „körpernahen Glückserlebens“ jedoch durchaus zu vermuten gewesen.
Eine signifikante Steigerung des imaginativen Erlebens zeigt sich in der PCI-Messdimension „Imagery“ nicht, doch ist die Subdimension „Amount“, d.h. die Menge des Imaginierten, im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant erhöht. Außerdem fällt eine Fokussierung auf inneres Erleben auf, wie es in dem hohen Score der Subdimension „Direction of Attention“ zum Ausdruck kommt. Auch „Arousal“ (Erregung) und Selbstkontrolle sind signifikant verändert. In Bezug auf die Messdimension „Altered States of Awareness“, die für den Grad der subjektiven Bewusstseinsveränderung steht, zeigt sich ein hochsignifikanter Unterschied zwischen der HV-Gruppe und der Kontrollgruppe.
Insgesamt weisen die Skalenwerte des 5D-APZ und des PCI, aber auch die Konstellation der gesamten Veränderungen, eindeutig darauf hin, dass es während der HV-Atmung bzw. in der Nachphase zu einem ausgeprägten veränderten Bewusstseinszustand kommt.
Leider war eine Trennung in HV-Phase und Nachphase nicht möglich, da die Fragebögen „danach“, also nach Ablauf beider Phasen, angewandt wurden, was eine Zuordnung des Erlebten zu einer der Phasen nicht ermöglicht. Die Ergebnisse eines anderen von unserer Gruppe durchgeführten Experiments weisen allerdings darauf hin, dass sowohl in der aktiven HV-Phase als auch in der Nachphase ekstatisches Erleben auftreten kann (Joas 2008).
Hyperventilation und veränderte Hirndurchblutung
Im Unterschied zur Forschung zu psychischen Veränderungen sind die physiologischen Wirkungen während der HV wissenschaftlich detailliert untersucht worden. Es sollen hier jedoch nur die Resultate geschildert werden, die für ein Verständnis der psychischen Wirkungen von Bedeutung sind.
Es ist experimentell gesichert, dass sich während einer HV der Gehalt des Blutes an CO2 verringert; bei stärkerer HV vom Normwert (35–45 mm Hg) auf deutlich unter 20 mm Hg (Fried 1987). Die Veränderung des CO2-Gehaltes im Blut hat eine starke Wirkung auf das Gehirn, da – wie schon oben beschrieben –, die Hirndurchblutung über den CO2-Gehalt des Blutes gesteuert wird (Brian 1998). Der Blutfluss im Gehirn kann während einer starken HV um bis zu 50 Prozent im Vergleich zum normalen Hirndurchblutung verringert sein (Kety und Schmidt 1946, Duarte 1995).
Einige der bildgebenden Untersuchungen mit funktioneller Magnetresonanztomographie (Posse et al. 1997) und Positronen-Emissions-Tomographie (Bednarczyk et al. 1990) demonstrieren nicht nur eine generelle Abnahme der Hirndurchblutung, sondern zeigen ein bestimmtes Verteilungsmuster der Durchblutungsveränderungen. So kommt es in der äußeren Hirnrinde (dem Sitz der „grauen Zellen“, mit denen wir denken und unser Verhalten steuern) zu einer stärkeren Abnahme der Durchblutung als in den so genannten subkortikalen Strukturen, wie etwa dem limbischen System, wo das „Gefühlszentrum“ des Gehirns lokalisiert ist. Das dadurch eintretende „Ungleichgewicht“ zwischen dem Einfluss der Hirnrinde und den Gefühlszentren könnte die Erklärung für das intensivierte Gefühlserleben und die Veränderungen des psychischen Gesamtsystems bei der HV darstellen (Passie et al. 2003). Auch die euphorischen Gefühlszustände könnten durch eine verminderte Durchblutung der äußeren Hirnschichten mitvermittelt sein, da solcherart Durchblutungsverminderungen als Ursache euphorischer Zustände diskutiert werden (Pearlson et al. 1993). Mit der Hypothese einer stärker gefühlsgesteuerten Hirnfunktion stimmen auch neuropsychologische Untersuchungen überein, bei denen eine Reduktion der kognitiven Kontrolle während forcierter HV gefunden wurde (Gibson 1978).
Subjektive Erlebnisphänomene beim therapeutischen Atmen: Eine qualitative Studie
Um eine weiterführende und differenziertere Erforschung der Erlebnisveränderungen zu ermöglichen, wurde von uns eine weitere Studie durchgeführt. Diese sollte das subjektive Erleben während der Atemsitzungen (HV-Phase und Nachphase) detaillierter erschließen, um darüber Anhaltspunkte zu gewinnen, welche Erlebnisweisen auftreten und wie diese im subjektiven Erleben beschaffen sind. Da es sich um die systematische Erhebung qualitativer – nicht quantitativer – subjektiver Erlebnismerkmale handelt, wird diesbezüglich auch von „qualitativer psychologischer Forschung“ gesprochen. Solche qualitativen Studien schaffen erst die Voraussetzung für eine objektivierende und quantitative Forschung, da nur so Anhaltspunkte für die Entwicklung von entsprechenden objektivierenden Methoden wie z. B. wissenschaftliche Fragebögen gewonnen werden können.
In der Studie wurden während mehrerer – unter gleichbleibenden Umständen stattfindender – Gruppensitzungen mit therapeutischem Atmen von den Teilnehmern schriftliche Protokolle über das Erlebte angefertigt. Diese wurden dann mit inhaltsanalytischer Methodik ausgewertet (Mayring 2008). Dies bedeutet, dass die Erlebnisprotokolle in Bezug auf inhaltliche Merkmale zunächst grob systematisiert werden. In einem nächsten Schritt werden anhand des Materials Kategorien entwickelt, denen die Beschreibungen dann zugeordnet werden. Dann werden die Hauptmerkmale extrahiert, zusammenfassend beschrieben und mit repräsentativen Beschreibungen unterlegt.
Das Spektrum der Erlebnisveränderungen
Das Gesamtspektrum der möglichen Erlebnisveränderungen unter HV und in der Nachphase ist gemäß den Ergebnissen recht breit. Es konnten folgende regelmäßig auftretende Phänomene beschrieben werden: 1. verstärktes Gefühlserleben; 2. verstärktes Bilderleben; 3. Regression; 4. veränderte Steuerungsfähigkeit; 5. Wiedererleben von Erinnerungen; 6. „affektive Abreaktionen“; 7. körpernahes Glückserleben; 8. mystische Erfahrungen und 9. „Kernerfahrungen“. Im Folgenden wird auf die Erlebnisphänomene 1 bis 6 nur kurz eingegangen, während die dem ekstatischen Erleben nahestehenden Erlebnisphänomene 7 bis 9 ausführlicher behandelt werden.
Die im folgenden angeführten Zitate von Erlebnisbeschreibungen sind der Dissertation von Binder (2017) entnommen.
Verstärktes Gefühlserleben
Zu den bedeutendsten und stärksten Wirkungen des verstärkten Atmens dürfte die Intensivierung des Gefühlserlebens gehören, die von vielen Teilnehmern eindrücklich geschildert wurde und die sich in den oben beschriebenen psychometrischen Messungen wiederspiegelte. Obgleich das Erleben von „positiven“ Gefühlen anscheinend deutlich stärker ausfällt, ist auch das Erleben von „negativen“ Affekten verstärkt, d.h. alle affektiven Erlebnisqualitäten imponieren gesteigert, mit einer Tendenz zu positiv erlebten Qualitäten. Gemäß den Erlebnisprotokollen der Probanden war insbesondere die Nachphase von einem sehr positiven Gefühlsund Körpererleben begleitet.
Ein Proband schilderte seine Erfahrungen folgendermaßen: „Von totaler Verzweiflung und Trauer über Wut, das hab ich bei einer Atemsitzung ... gehabt. So eine Wut zu spüren habe ich noch nie in meinem Leben so ausgelebt. Also gespürt hab ich sie vielleicht, aber eben nicht so rausgelassen. Aber auch ganze Glückseligkeit und Freude, also die ganze Palette an Gefühlen“ (III, 36).
Verstärktes Bilderleben
Das Auftreten von Bildern, Reminiszenzen oder ganzen Szenen, die „vor einem inneren Auge“ wahrgenommen werden, sind häufig geschilderte Phänomene in den untersuchten Atemsitzungen. Während des Bilderlebens tritt das epikritisch-abstrakte Denken zugunsten eines emotional-assoziativ gesteuerten bildhaften „Denkens“ zurück. Gemäß den Schilderungen der Probanden kommt es sowohl während der HV-Phase als auch in der Nachphase zu einem verstärkten Bilderleben, was sich in den Fragenbogenmessungen bestätigt hat. So zeigt sich in der Messdimension „visionäre Umstrukturierung“ des OAVAV ein gegenüber der Kontrollgruppe um das Mehrfache erhöhter Wert. Folgendes Zitat aus einem Erlebnisprotokoll macht diese Phänomene anschaulich: „Es sind eher Sequenzen. Das kann [aber] wechseln: wenn man ein Bild gesehen hat und man dann vielleicht eine Traurigkeit spürt .... Dann kommt vielleicht ein anderes Bild, was damit nichts zu tun hat ... wofür es aber vielleicht wichtig war, sich das vorherige anzugucken. Manchmal kommen die Bilder unaufgefordert und es gibt Sequenzen, wo man ... während der ganzen Atemsitzung weitergeht ..., die sich auch ergänzen“ (IV, 53).
Regression
Die regressiven Prozesse können sowohl auf äußere Merkmale der Situation (liegende Position, geschlossene Augen) als auch auf innere psychophysisch bedingte Mechanismen zurückgeführt werden. Während der Atemsitzungen kommt es aufgrund von Veränderungen der Hirndurchblutung zu einer Schwächung kortikaler Kontrollfunktionen. Darauf verweist auch das verstärkte Gefühlserleben, welches das Erlebnisfeld stark vereinnahmen kann. Auch das verstärkte Bilderleben mit einer Primitivierung des epikritischen Denkens weist auf eine Regression des psychischen Systems hin.
Die Nachphase scheint ebenfalls von einem regressiven Erleben geprägt. Dieses wird von tiefer Entspannung und einer ausgeprägten Introspektionsneigung mit verstärktem Bilderleben bestimmt. Beim Gefühlserleben stehen positive Erfahrungen im Vordergrund. Geschildert wird das Empfinden eines basalen Vertrauens „in die Welt, den eigenen Körper und sich selbst“, was zumeist mit einem Empfinden von „Offenheit und Verletzlichkeit“ einhergehe. Man fühle sich innerlich „leicht“ und könne „sich gehen lassen“. Daher bestehe keine Notwendigkeit, das Erleben willentlich zu steuern. Auch diese Erlebnisqualitäten können im Sinne einer Regression verstanden werden.
Veränderte Steuerungsfähigkeit
Fast alle Probanden wiesen auf eine teils erheblich veränderte Steuerungsfähigkeit bzw. Selbstkontrolle während der Atemsitzungen hin. Die auftretenden inneren Prozesse scheinen, insbesondere während der HV-Phase, durch ein nur wenig willentlich gesteuertes „Heraussprudeln“ von Empfindungen, Gefühlen, Bildern und Erinnerungen gekennzeichnet zu sein. Im PCI zeigt sich in der „Volitional control dimension“ eine gegenüber der Kontrollgruppe erheblich verminderte Selbstkontrolle.
Auch während der Nachphase scheint eine verminderte Selbststeuerung vorzuliegen. Dadurch dominiert das körpernah erlebte „basale Vertrauensempfinden“, welches auf einem ausgeprägten körperlichen Entspannungszustand basiert. Auf diesem „Untergrund des Erlebens“ wird von den Probanden oft von einem „Sich-dem-Erleben-völlig-Hingeben“ berichtet.
Wiedererleben von Erinnerungen
In den meisten Fällen scheint es zu einem über die aktivierten Gefühle initiierten vorwiegend bildhaften Rückerinnern zu kommen. Dieses kann von angedeuteten Reminiszenzen bis zu ausgeprägten hypermnestischen Phänomenen, teils verbunden mit Altersregressionen, reichen. Hierbei können biographische, emotionale, gedankliche und körperliche Phänomene zusammenwirken bzw. gemeinsam auftreten. Neben schwächeren, womöglich fragmentierten Erinnerungsphänomenen können auch eindrückliche szenische Rückerinnerungen vorkommen. Was für Erinnerungen auftreten, scheint individuell verschieden und kaum vorhersehbar. Es scheint eine Häufung von Erinnerungen an besonders prägende und einflussreiche, aber auch an erschütternde, manchmal sogar traumatisierende Ereignisse in den berichteten Erfahrungen zu geben.
Die gelegentlich in psychotherapeutischen Büchern zum Holotropen Atmen (z. B. Grof und Grof 2013) oder Rebirthing (z. B. Orr und Ray 1977) erwähnten „Erinnerungen an die Geburt“ waren in dem von uns erhobenen Material praktisch nicht zu finden.
„Affektive Abreaktionen“
Gemäß den Erlebnisberichten und den Interviews treten in den Atemsitzungen häufig starke Gefühle auf, die in der Regel auch zu entsprechenden Verhaltensbzw. Affekt-Reaktionen (Weinen, Ärger ausdrücken, Schreien, Lachen usw.) führen. Das unmittelbare Erleben und Ausdrücken starker Affekte wird in der psychotherapeutischen Literatur als „kathartische Abreaktion“ bezeichnet (Nichols und Zax 1977), die es dem Subjekt erlaube, „... die traumatischen Ereignisse, an die diese Affekte geknüpft sind, wachzurufen, ja sie wieder zu erleben und abzureagieren“ (Laplanche und Pontalis 1986: 247). Zu „Abreaktionen“ kommt es gemäß den Erlebnisbeschreibungen und Interviews hauptsächlich während der HV-Phase. In der Nachphase scheinen dagegen nur gelegentlich Abreaktionen aufzutreten. Von einem Probanden wird ein „Abreagieren“ von Gefühlen folgendermaßen geschildert: „Ich kann schon sagen, dass ich mindestens bei der Hälfte meiner Atemsitzungen ... sehr traurige Empfindungen hatte, die schnell in Weinen übergingen. Dabei habe ich festgestellt, dass, wenn das Weinen tiefer wurde, es in ein Schluchzen überging“ (I, 2f ).
Formen ekstatischen Erlebens beim verstärkten Atmen
Wir kommen nun in den Bereich von ekstatischen Erlebnisqualitäten. Dies sind beim therapeutischen Atmen aus unserer Sicht die körpernah erlebten Glücksgefühle, die wir den mikroekstatischen Phänomenen zuordnen, die mystikoformen Erfahrungen sowie die Kernerfahrungen, die wir den makroekstatischen Phänomenen zurechnen. Bezüglich der Einteilung in mikround makroekstatische Phänomene verweisen wir auf die Arbeit von Passie und Scharfetter im vorliegenden Band. Während die mystisch-ekstatischen Erfahrungen anerkanntermaßen zu den zentralen Erlebnisweisen ekstatischer Art gerechnet werden, sind das körpernahe Glücksempfinden und die Kernerfahrungen bisher nicht als solche beschrieben worden.
Grundsätzlich sind bei diesen drei Formen ekstatischen Erlebens die Wachheit und die Bewusstseinsklarheit nur wenig verändert; womit es sich um „luzide“ (gegenüber den „somnambulen“) ekstaseartige Zustände gemäß der Definition von Oesterreich (1921) handelt (vgl. auch den Beitrag zu Trance und Besessenheit auf Seite 69).
Körpernahes Glückserleben
An Körperempfindungen werden zu Beginn und während der HV-Phase meist Anspannung und „Verhärtung“, Wärmeund Kälteempfinden (teils wechselnd), „körperliche Vibrationen“ und motorische Unruhe geschildert. Zu den subjektiv empfundenen Spannungen während der HV-Phase kommen die „realen Verkrampfungen“ durch die sich als Nebenwirkung entwickelnden Spasmen der Hände sowie gelegentlichen Kribbelund Taubheitsempfindungen an den Händen und im Gesichtsbereich. Von außen betrachtet besteht in der HV-Phase eine verstärkte Körperbewegung, während die Personen in der Nachphase meist ruhig daliegen.
Dennoch scheint es, dass in Bezug auf das veränderte Körpererleben die Nachphase bedeutsamer ist. Fast immer wird von einer großen körperlichen Entspannung und „seelischen Gelöstheit“ berichtet, die den Erlebnisfluss tragend bestimmt. Die Aufmerksamkeit ist nach innen gewandt – und das so sehr, dass zwar noch Geräusche oder Musik wahrgenommen werden, aber in einem ruhigen Ambiente die Aufmerksamkeit fast vollständig von körpernahen Empfindungen absorbiert ist. Regelmäßig wird das „Empfinden und Erleben von Körper, Geist und Psyche als einer untrennbaren Ganzheit“ geschildert. Der Atemtherapeut Pleske beschreibt dies so: „Wir bringen den Klienten durch die Abwehr hindurch und vermitteln ihm, dass es sicher ist, da durchzugehen. Über die Atmung baut sich eine körperlich spürbare Energie auf und wenn wir den Prozess beenden, ist die Energie noch da und löst sich mit der Musik in einer stark intensivierten Körpererfahrung. Typische subjektive Beschreibungen sind ‚aufgeladen sein‘, ‚strömende Körperenergie' und ‚Energiephänomene‘. Manchmal sind die Erfahrungen sogar ekstatisch, so dass Leute sagen ‚oh, ich kann plötzlich Energie abgeben‘ oder ‚ich möchte dem, der hier neben mir liegt, all meine Liebe geben‘ oder so etwas“ (Passie und Pleske 2011).
In den Berichten der Probanden finden sich folgende Stichworte: Gelöstheit, Ruhe, Entängstigung, Euphorie, körperliche Tiefenentspannung, Zufriedenheit, Ausgeglichenheit, Harmonie, Akzeptanz, Hingegeben-Sein, Glückserleben, Zuversicht, Versöhnung, Zukunftsvertrauen, Aufgehobensein.
Es scheint, dass der „ gewöhnliche Rahmen von Anspannungsmustern, mit denen wir im Alltag unterwegs sind“ (z. B. um mit den Muskeln ständig der Schwerkraft entgegenzuwirken oder psychische Spannungen auszuhalten), in der Nachphase aufgehoben ist, so dass die Personen sich „auf eine ganz neue Weise spüren können“. Die quasi vollständige Aufhebung des gewöhnlichen Rahmens von körperlich-seelischen Spannungsmustern führt gemäß den Erlebnisprotokollen zu einer Zunahme des Vertrauens in den Körper, die Gefühle und das eigene Selbst: „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das Vertrauenfinden in die Gefühlswelt viel mit dem Körpererleben zu tun hat. In der Nachphase erlebt man eine fundamentale Entspannung ... Das ist in erster Linie eine körperliche Erfahrung, in der man den Körper als eine ‚Heimat‘, als etwas, wo man ‚zuhause‘ ist, erlebt. Es handelt sich um einen gefühlsund empfindungsgesteigerten Zustand, in dem basales Vertrauen in die Gefühlswelt und Körperlichkeit konkret erlebt wird ... Sich den Gefühlen und dem Körper ganz anvertrauen zu können ist eine tiefgehende existenzielle Erfahrung“ (Passie und Pleske 2011: 21f.). Dieses Erleben scheint unabhängig von der persönlichen Biographie und mit großer Regelmäßigkeit aufzutreten. Zur Illustration dieser Zustände zitieren wir aus den Erlebnisbeschreibungen der Teilnehmer:
„Das hat was von Herz aufgehen. Da durchströmt mich ... eine Energie durch den ganzen Körper. Das wird alles ganz warm und kribbelig. Wirklich so ein kompletter Energiefluss mit einer Offenheit im Bauchund Brustbereich verbunden. Das ist so ein wohliges Gefühl; so als wenn ich mich selber in den Arm nehme und mich tragen kann“ (V, 72).
„Das ist wirklich eine ganz tolle Erfahrung, dass [es] mich total durchströmt und ich denke, ich könnte zerplatzen vor Energie. Das fühlt sich total schön an“ (V, 79).
„Die Glücksempfindungen würde ich auf jeden Fall mit dem Körper in Verbindung bringen. Das waren Glücksempfindungen, die sich aber auch auf die Psyche oder auf das seelische Erleben, Gefühlserleben bezogen. Also: Körper war glücklich, Gefühl war glücklich, Seele war glücklich und der Geist eigentlich auch ...“ (I, 15).
„[Mein Körper hat] sich wie angespannt angefühlt, dann entladen, dann mit körperlichen Glücksgefühlen angereichert .... So eine Art Ausgeglichenheit zwischen den drei Spannungssystemen Körper, Seele, Geist. Die sind da in einer Art Einklang miteinander verschmolzen, so dass man ein fundamentales Vertrauen in Körperlichkeit und Gefühle erleben kann“ (I, 11).
Zur Psychophysiologie der Nachphase
Aus physiologischer Sicht könnte das Erleben in der Nachphase folgendermaßen entstehen: Nachdem die Durchblutung des Gehirns (und anderer Körpergewebe) durch den abgesenkten CO2-Spiegel während der HV-Phase stark abgenommen hat, tritt in der Nachphase nun eine vermehrte Durchblutung auf. Mit anderen Worten: Die Verknappung der Durchblutung während der HV-Phase führt in der Nachphase dazu, dass sich unter dem steigenden CO2-Spiegel die Gefäße öffnen und das Gehirn „wieder aufblüht“ (so fühlt sich das an!). Dadurch kommt es zu verstärktem Wärmeempfinden, körpernahem Glückserleben und einem sanften Empfinden psychischer Entgrenzung (siehe Abb. 7).