Zur Rezeptionsgeschichte des Schamanismus
Von Prof. Dr. Torsten Passie
Die populäre Rezeptionsgeschichte des Schamanismus
Seit dem 19. Jahrhundert wurde der Schamanismus als zentrales religiöses Phänomen der sogenannten Naturvölker von Ethnographen unter Prämissen wissenschaftlicher Erschließung ins Auge gefasst. Die frühen Studien blieben meist bei der detaillierten Beschreibung und einer problematischen Interpretation bestimmter Aspekte des Schamanismus stehen (1). Erst die folgenden Generationen (ca. 1930 bis 1960) versuchten sich an einer systematischen Erfassung des Phänomens, widerstanden dabei jedoch kaum der Versuchung eines "Zusammenstreichens" von Beobachtungen gemäß ihrer systemgerichteten Anschauung.
Der Schamanismus war, wie sich am Umfang der entsprechenden Literatur unschwer erkennen lässt, bis Ende der 60er Jahre ein wenig beachtetes Feld spezialisierter Wissenschaftler (2). Die Gesamttendenz der wissenschaftlichen Bearbeiter ging dahin, den Schamanismus als eine Art Urreligion anzusehen, der sich in seinen medizinischen Anteilen rein abergläubischer Anschauungen und Methoden bediente.
Einen Tendenzwechsel in der Interpretation und eine enorme Popularisierung des Schamanismus verursachten die seit 1967 erscheinenden (angeblichen) Feldforschungsberichte des kalifornischen Kulturanthropologen Carlos Castaneda (3). Dessen spannend zu lesende Berichte über seine Lernerfahrungen als Schüler eines "Brujos" (Zauberers) der mexikanischen indigenen Stammes der Yaqui trafen auf ein durch die Studenten- und Hippiebewegung der 60er Jahre besonders präpariertes Publikum. Dieses hatte durch den damals massenhaften Gebrauch bewusstseinsverändernder Substanzen (Marihuana und LSD) sowie Kontakte mit Meditation und östlichen Weisheitslehren eine Sensibilisierung gegenüber anderen Wahrnehmungs- und Bewusstseinsformen erfahren (4). Außerdem suchte diese Jugendbewegung, die zeitweise globale Ausmaße anzunehmen schien, nach neuen Werten und Lebensorientierungen, die aus den Einengungen der materialistischen Weltanschauung hinausführen sollten.
Castanedas Schriften erreichten zwar eine breite Leserschaft und förderten das populäre Interesse am Schamanismus, führten jedoch nicht zur Vermehrung der Leserschaft des wissenschaftlichen Schrifttums. Dies rührte vermutlich daher, dass das bei gewöhnlichen Feldforschungen gewonnene Material meist spröde und für den nicht fachkundigen Leser unzugänglich ist. Allerdings kam es im Gefolge der amerikanischen Castaneda-Rezeption dazu, dass eine Reihe von Studenten sich von der Materie derart angezogen fühlte, dass sie selbst zu Ethnologen und Kulturanthropologen wurden und selbst Feldforschungen zum Schamanismus durchführten.
Anfang der 70er Jahre wurde, neben dem nach wie vor breit rezipierten Castaneda, ein Schamane des indigenen Stammes der Shoshonee namens Rolling Thunder bekannter, dessen Schüler Boyd einen Erfahrungsbericht verfasste, der gleichermaßen weite Verbreitung fand (5). Dieser Bericht könnte insofern für eine nächste Phase der populären Rezeption stehen, als er ein bedeutend realitätsnäheres Bild von sozial verantwortlicher schamanistischer Haltung und Handlung wie auch das neu erstarkende Selbstbewusstsein der traditionsorientierten indigenen Völker dokumentiert.
Gegen Mitte der 70er Jahre kehrten die Ende der 60er Jahre angeregten Feldforscher zurück und veröffentlichten ihre Berichte. Diese waren stark von einer neuartigen ethnographischen Methode geprägt, die sich bei Castaneda vorgebildet findet, nämlich derjenigen der "teilnehmenden Beobachtung", das heißt der unmittelbaren Einlassung der ethnologischen Feldforscher auf das Milieu, die Mentalität und die Lehren der Schamanen. Besondere Verbreitung erlangten die Arbeiten von Peter Furst, Michael Harner, Marlene Dobkin de Rios, Barbara Myerhoff und Douglas Sharon (6).
Anfang der 80er Jahre kam es dann unter dem Einfluss einiger dieser Autoren zu einem ersten internationalen Treffen von Schamanen im österreichischen Alpbach, wo es primär um einen Erfahrungsaustausch, aber auch um die weitere Förderung des Wissens um schamanistische Heilmethoden ging (7). Diese Veranstaltung korrelierte zeitlich mit dem Beginn der sogenannten "New Age"-Bewegung, die sich die Entwicklung und Popularisierung spiritueller Lebensmaximen und eine erweiterte Wahrnehmung menschlicher Innenwelt zum Ziel setzte.
Um die Mitte der 80er Jahre kam es dann zu einer enormen Verbreiterung der Publikationswelle zum Thema Schamanismus. Im deutschsprachigen Bereich stieg der Zahl der Buchtitel von 25 um 1980 über etwa 75 Mitte der 80er Jahre bis auf mehr als 220 Titel im Jahre 1998. Auf dem Hintergrund einer Bereitschaft des Massenpublikums zur Rezeption einer Vielfalt von okkultem Schrifttum seit Beginn der 90er Jahre (sogenannte "Esoterik-Welle") kam es zur ausufernden Publikation sowohl von "Fiktionalem" als auch von dokumentarisch wie wissenschaftlich Fundiertem zum Thema Schamanismus. Dies zeigt auch die vorliegende Bibliographie - allerdings mit einer Relationsverschiebung zugunsten der seriösen Publikationen.