Microdosing Eintrag bei Wikipedia 10/2019 von Prof. Torsten Passie

„Microdosing''' (seltener in deutscher Übersetzung '''Mikrodosierung''' genannt) beschreibt den Einsatz von Arzneistoffen oder halluzinogenen Drogen in extrem kleinen Dosierungen. Entsprechend der Dosis-Wirkungs-Beziehung treten dabei Wirkungen und Nebenwirkungen praktisch nicht auf. Anwendung findet Microdosing bei der Entwicklung von Arzneistoffen und als "aktueller Trend" im privaten Rahmen durch die Einnahme von sehr geringen, in ihren Wirkungen kaum wahrnehmbaren, Dosen von Halluzinogenen zur "Leistungssteigerung" oder "Kreativitätsvermehrung".

 

Microdosing in der Medikamentenentwicklung

Überlegungen zum Microdosing in der pharmazeutischen Industrie und in Medizinkreisen begannen Mitte der 1990er Jahre (1). Durch Microdosing, d.h. die Gabe von einem Hundertstel der wirksamen Dosierung, können die Verteilung von Pharmaka im Organismus, d.h. die Pharmakokinetik und bestimmte Wirkungen des Pharmakons, z.B. welche Rezeptoren besetzt werden o.ä., bei zu vernachlässigenden Nebenwirkungen untersucht werden. 2006 setzte die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMEA) die Rahmenbedingungen für klinische Studien mit Microdosing an Menschen fest. Ziel ist es, Tierversuche zu vermindern bzw. gänzlich zu vermeiden (2), durch Extrapolation Nebenwirkungen beim Menschen abzuschätzen (3) und zu einer effektiveren Medikamentenentwicklung zu gelangen (4). Die US-amerikanische Food and Drug Administration FDA gab ähnliche Vorgaben heraus. Im klinischen Zusammenhang wird beim Microdosing von einer „sub-therapeutischen Phase 0“ gesprochen, um Unterschied zur Phase 1, bei der eine erhebliche höhere wirksame Dosis gegeben wird. Um das Verhalten einer Mikrodosis im Organismus zu verfolgen, werden in den letzten Jahren entwickelte hochempfindliche Messmethoden verwendet, die teils radioaktiv markierte Moleküle nutzen (5).

Es wurden mittlerweile einige grundlegende experimentelle Studien (unter Verwendung von in ihren Eigenschaften gut bekannten Molekülen/Pharmaka) durchgeführt, in denen sich zeigte, dass sich minimale Mengen dieser Moleküle im menschlichen Organismus praktisch identisch wie größere Mengen verhalten. Dies zeigt, dass der Methode des Microdosing bei der Prüfung von Pharmaka eine größere Zukunft bevorstehen dürfte. 

 

Microdosing von Halluzinogenen

Auch aus dem Silicon Valley kommt ein neuer Trend, die (illegale) Droge LSD etwa zweimal wöchentlich in sehr geringen Mengen einzunehmen, um kreativer zu werden. Außerdem wird behauptet, ein solches Microdosing würde die Konzentration steigern und einige psychiatrische Symptome wie Ängste und Depressionen oder ADHS mindern. Einige Anwender (sog. „Microdoser“) berichten auch von einem erleichterten Absetzen von Psychopharmaka, z.B. Antidepressiva. Bis auf einige eher vage Berichte von Einzelpersonen gibt es bisher allerdings keinerlei wissenschaftliche Belege für diese behaupteten Wirkungen. 

Studien, wie sie in den 1950er und 1960er Jahren vielfach mit geringen und sehr geringen Dosen von LSD unternommen wurden, zeigen eher störende Wirkungen auf Konzentration und andere geistige Fähigkeiten, auch bzgl. der Kreativität (s. umfassende Übersicht in (6)). Die meisten „Microdoser“ berichten zwar kaum von Nebenwirkungen, andererseits wurden aber störende Wirkungen auf Wahrnehmung und geistige Fähigkeiten (cave: Autofahren!) wie auch depressive Reaktionen und Schlafstörungen wiederholt beschrieben, insbesondere bei längerfristiger Anwendung (über Wochen/Monate). Der Trend (oder vielleicht auch Hype) kam inzwischen auch in Europa an, typischerweise in Kreativberufen, etwa in Werbeagenturen (7).

 

Es ist wichtig, zwischen drei Formen von so genanntem Microdosing von Halluzinogenen zu unterscheiden. Alle drei Formen sind in Internet-Einträgen als „Microdosing“ dokumentiert. 

1. Die Einnahme einer sehr geringen Dosis eines Halluzinogens wie LSD (5-15 Mikrogramm oral) oder Psilocybin (2-3 mg oral), bei der keinerlei Wirkung spürbar ist, aber doch zustande kommen soll; 

2. die regelmäßige Einnahme der vorgenannten sehr geringen Dosen alle drei Tage über eine Zeitraum von Wochen; 

3. die Einnahme von geringen Dosen, die eine spürbare Wirkung hervorrufen (wie 20-50 Mikrogramm LSD oral oder 4-6 mg Psilocybin oral). Dies wurde auch als „Minidosing“ bezeichnet.

Diese drei Formen zu unterscheiden ist auch von Bedeutung, da häufig alles unter der Bezeichnung „Microdosing“ abgehandelt wird und somit ganz unterschiedliche Einnahmeformen zusammengeworfen werden. Das erschwert bzw. verunmöglicht natürlich eine Erfassung und Beurteilung möglicher Wirkungen.

 

Neben den oben angesprochenen frühen Studien nahmen sich in den letzten zwei Jahren lediglich einige Umfragestudien dieses Phänomens an (8). Studien, die mit aktuellen wissenschaftlichen Methoden in klinischen Versuchsreihen mögliche positive Wirkungen untersucht haben, existieren bis auf eine einzige, unten angeführte Studie bislang nicht (Stand: Mai 2019). Allerdings untersucht die englische Beckley Foundation zusammen mit dem Imperial College London seit 2018, ob den berichteten Wirkungen des Microdosings ein Placebo-Effekt zugrunde liegen könnte. 

Umfragestudien haben leider einen nur sehr begrenzten bzw. geringen Wert, da sich an ihnen vor allem jene Personen beteiligen, die an die „Wirksamkeit“ glauben bzw. diese erlebt zu haben meinen. Alle anderen reagieren bekanntlich nicht auf solche Umfrageangebote im Internet. Das ist ein ernsthaftes methodisches Problem, da Placeboeffekte und durch Autosuggestion entstandene Effekte sehr groß sein können. Außerdem ist leicht zu verstehen, dass Personen, die Mikrodosen LSD (per Definition schon ohne merkbare Wirkung) genommen haben und ihrerseits keinerlei Wirkung feststellen konnten, sich weder an zeitaufwändigen Umfragen beteiligen dürften noch einen Bericht über fehlende Effekte (wie z.B.: "Einnahme 12.30, 13.30 nix gespürt, 14.30 kein Effekt, 15.30 keine Veränderung, 16.30 nix, 17.30 keine Veränderung spürbar usw.") ins Netz stellen würden - und das auch kaum jemanden interessieren dürfte. Andere Probleme, die die Aussagefähigkeit von Umfragen per Internet mindern, sind die nicht genau bekannte Zusammensetzung der (illegalen) Präparate, deren - praktisch kaum mögliche - exakte Dosierung sowie das unterschiedliche Einnahmeschema der Anwender.

 

Eine nach strengen methodischen Standards durchgeführte und die Placeboeffekte weitestgehend ausschließende Studie untersuchte die subjektiven Wirkungen von Placebogaben im Vergleich zu  5, 10, 15 und 20 Mikrogramm LSD (per os) an mehr als 50 gesunden Versuchspersonen. Es zeigten sich bei allen genannten Dosen keine über der Zufallswahrscheinlichkeit auftretenden psychischen Effekte (9).

Nicht untersucht sind bisher regelmäßige Gaben von Mikrodosen, z.B. alle drei Tage über mehrere Wochen. Die letztgenannte Studie hat allerdings auch die (möglichen) Wirkungen von sechs Gaben alle drei Tage über insgesamt 18 Tage untersucht. Diese Ergebnisse sind jedoch noch nicht veröffentlicht.

Auch wenn die bisherigen wissenschaftlichen Studien (nicht gemeint sind die wenig aussagekräftigen Umfragestudien) kaum Hinweise auf eine relevante Wirkung von Mikrodosierungen erbracht haben, so kann doch nicht ausgeschlossen werden, dass z.B.  regelmäßige Microdosierungen nützliche Wirkungen hervorbringen.

Übersichten zum aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand liefern die Bücher von Passie (6) und von Berger (10).

 

Literatur

  1. Lappin G. Microdosing: current and the future. Bioanalysis 2 (2010): 509–517
  2. 2. T. Burt, K. Yoshida, G. Lappin, L. Vuong, C. John, S. N. de Wildt, Y. Sugiyama, M. Rowland. Microdosing and Other Phase 0 Clinical Trials: Facilitating Translation in Drug Development. Clinical and Translational Science 9 (2016): 74–88
  3. M. Bergstrom: The Use of Microdosing in the Development of Small Organic and Protein Therapeutics. Journal of Nuclear Medicine 58 (2017): 1188-1195
  4. European Medicines Agency |url=https://www.ema.europa.eu/en/documents/scientific-guideline/concept-paper-development-chmp-guideline-non-clinical-requirements-support-early-phase-i-clinical_en.pdf
  5. A. T. Wotherspoon, M. Safavi-Naeini, R. B. Banati: ''Microdosing, isotopic labeling, radiotracers and metabolomics: relevance in drug discovery, development and safety. Bioanalysis 9 (2017): 1913–1933; Burt T, John CS, Ruckle JL, Vuong LT. Phase-0/microdosing studies using PET, AMS, and LC-MS/MS: a range of study methodologies and conduct considerations. Accelerating development of novel pharmaceuticals through safe testing in humans - a practical guide. Expert Opinion on Drug Delivery 14: 657-672
  6. Passie, T. The Science of Microdosing Psychedelics. London: Psychedelic Press 2019
  7. Kuroczik J. Drogen-Kick fürs Büro. https://www.sueddeutsche.de/wissen/lsd-micro-dosing-buero-leistung-1.4358577
  8. Fadiman J, Korb S. Might Microdosing Psychedelics Be Safe and Beneficial? An Initial Exploration. Journal of psychoactive drugs,  Polito V, Stevenson RJ. A systematic study of microdosing psychedelics. PLOS ONE 2019;  Anderson E, Petranker R, Rosenbaum D, Weissman CR, Dinh-Williams LA, Hui K, Hapke E,  Farb NA. Microdosing psychedelics: personality, mental health, and creativity differences in microdosers. Psychopharmacology 236: 731–740
  9. Yanakieva S, Polychroni N, Family N, Williams LTJ, Luke DP, Terhune DB. The effects of microdose LSD on time perception: a randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Psychopharmacology (Berl). 2018
  10. Berger M u.a. Microdosing. Solothurn: Nachtschatten Verlag 2019