MDMA imitiert den postorgasmischen Zustand
Von Prof. Dr. Torsten Passie mit Prof. Dr. Tillmann Krüger*
MDMA (‚Ecstasy‘) ist eine Substanz mit einem einzigartigen Spektrum psychobiologischer Wirkungen und eine häufig konsumierte illegale Droge. MDMA induziert einen affektiven Zustand von Euphorie und geringgradigen Wahrnehmungsveränderungen kombiniert mit erleichterter zwischenmenschlicher Kommunikation (Green et al. 2003) und der subjektiven Erfahrung, anderen Personen näher zu sein. Eine weitere Wirkung ist ein gesteigertes Bedürfnis nach nicht-sexuell motiviertem Körperkontakt mit anderen Menschen. Daher stammt die Bezeichnung „hug drug“, also „Kuscheldroge“ (Beck & Rosenbaum 1994).
Im Folgenden gehe ich der Hypothese nach, dass der typische MDMA-induzierte Zustand dem post-orgasmischen Zustand gleicht.
Initiale Beobachtungen
Über Jahrzehnte hinweg habe ich therapeutische und rekreationale MDMA-Sitzungen beobachtet. Dabei stellte sich mir immer wieder die Frage, warum bei dem hohen Grad von zwischenmenschlicher Nähe und kommunikativer Offenheit, die oft zu menschlich sehr intimen Austausch führte, die betreffenden Personen praktisch niemals einen weiterführenden nahen Kontakt herstellten. Auch ein sexuell orientiertes Verhalten trat in diesen Gruppen während der akuten MDMA-Wirkung zu keiner Zeit auf. Diese fehlende sexuelle Reaktionsbereitschaft deckte sich mit Beobachtungen von MDMA-Therapeuten und wissenschaftlichen Untersuchungen an MDMA-Konsumenten (z.B. Buffum & Moser 1986, Zemishlany et al. 2001).
Ich begann, in der Perspektive der Psychoanalyse darüber nachzudenken, ob – in der Terminologie Freuds – vielleicht keine „libidinöse Besetzung“ anderer Personen stattfindet, das heißt sich keine sexuellen Ambitionen/Energien auf andere Personen richten. Das ist vor allem dann der Fall, wenn die sexuelle Energie „verbraucht“, der Organismus sexuell befriedigt und eine sexuelle Sättigung erreicht ist. Diese ist am stärksten unmittelbar nach dem Erleben eines Orgasmus, also im „post-orgasmischen Zustand“. Es fiel mir außerdem auf, dass auch einige andere Merkmale des postorgasmischen Zustandes mit dem typischen MDMA-induzierten Zustand übereinstimmten.
Psychophysiologie von Sexualität und Orgasmus
Während ich mich mit diesen Überlegungen befasst war, lief an unserer Abteilung an der Medizinischen Hochschule Hannover eine Studie zu den physiologischen Reaktionen und hormonellen Veränderungen in der partnerschaftlichen Sexualität und während des Orgasmus. Natürlich interessierte ich mich für deren Ergebnisse.
Bei den Untersuchungen wurde den teilnehmenden Pärchen ein wohnlich eingerichteter Raum zur Verfügung gestellt, in dem sie Geschlechtsverkehr hatten. Damit das Paar durch die Experimentatoren nicht gestört wurde, hatte man kleine Löcher durch die Wand gebohrt, durch die Messgeräte und Schläuche für regelmäßige Blutentnahmen liefen. Für den Versuch wurde alles so hergerichtet, dass sich die Versuchspersonen möglichst unbefangen und unbeobachtet fühlten, so dass die weit überwiegende Zahl der Versuchspersonen tatsächlich einen Orgasmus erlebte. Die Ergebnisse der Studie zeigten unter anderem, dass es nach dem Orgasmus zu einem massiven Anstieg des Hormons Prolaktin kommt – was bei einem ausbleibenden Orgasmus nicht so ist. Der Anstieg von Prolaktin entsprach jenem Prolaktinanstieg, wie er nach der Einnahme von MDMA auftritt.
Sexualfunktionen, Orgasmus und Prolaktin
Neuroendokrinologische Studien, welche die Effekte von sexueller Erregung und Orgasmus auf die Hormonausschüttung beim Menschen untersuchten, fanden eine markante Steigerung des Prolaktinspiegels bei Männern und Frauen nach dem Orgasmus. Der Prolaktinspiegel war über 30-60 Minuten nach dem Orgasmus signifikant erhöht. Die Prolaktinveränderungen waren vom Orgasmus abhängig und traten während bloßer sexueller Erregung nicht auf (Krüger et al. 1998, Exton et al. 2001) (Diagramm 1).