Was sind Halluzinogene? - Ein konziser Überblick
Von Prof. Dr. Torsten Passie
Definition
Unter dem Begriff „Halluzinogene“ wird eine Gruppe von Substanzen zusammengefasst, die sowohl von der Struktur als auch dem Wirkungsbild her ein breites Spektrum umfasst. Es handelt sich um psychisch aktivierende Substanzen, die dosisabhängig das sensorische und psychische Erleben stark beeinflussen.
Je nach Interpretation der Erlebnisveränderungen wurden für diese Stoffe auch Termini wie Phantastika, Psychotomimetika, Psychodysleptika, Psychedelika, Mystikomimetika oder Psycholytika verwendet. Heute sind die Begriffe Halluzinogene und Psychedelika am gebräuchlichsten.
Die halluzinogenen Substanzen wurden von Leuner (1961), dem sich Dittrich (1985) anschloss, in zwei Gruppen unterteilt:
- Halluzinogene 1. Ordnung
Halluzinogene 1. Ordnung sind die klassischen Halluzinogene wie LSD, Psilocybin, Meskalin und Dimethyltryptamin. Deren Wirkungsbild ist charakterisiert durch eine traumartige Bewusstseinsveränderung, eine Steigerung der Affektivität, Veränderungen der Sinneswahrnehmung sowie des Zeit- und Raumerlebens. Das Ich-Erleben ist verändert bzw. geschwächt und die rationale Steuerung vermindert. Das Bewusstsein ist ungetrübt und klar, das Gedächtnis unbeeinträchtigt. Die Bewusstseinslage entspricht statt einer Trübung einer „Überwachheit“ (Hypervigilanz). Positiv geprägte Erfahrungen von Ich-Auflösung mit mystischer Konnotation kommen vor. Wird nicht überdosiert, so bleibt ein Bewusstsein über den artifiziellen Charakter der Situation und damit die Möglichkeit einer Distanzierung vom Erlebten erhalten.
- Halluzinogene 2. Ordnung
Halluzinogene 2. Ordnung sind bezüglich ihrer Struktur sowie ihrer physischen und psychischen Wirkungen sehr heterogen (z.B. Ketamin, THC, Lachgas, Atropin, Äther). Bei diesen Substanzen sind vegetative Nebenwirkungen eher häufig. Die motorische Koordination ist vermindert, das Bewusstsein mehr oder minder getrübt, das Denken fast immer erheblich gestört. Das Selbst- und Gefühlserleben ist gewöhnlich vermindert. Delirante Zustände mit (partieller) Desorientierung kommen vor. Die Ich-Funktionen sind weitgehend außer Kraft, der reflektierende Ich-Rest stark dezimiert, der Realitätskontakt vermindert. Halluzinogene 2. Ordnung zeigen in der Regel vergleichsweise schwache halluzinogene Eigenschaften. Es treten weniger optische Phänomene auf, kaum einmal szenische Erscheinungen. Der Erlebnisfluss ist oft fragmentiert oder stagnierend, die Inhalte meist weit gestreut und ohne innere Logik und Zusammenhang. Wahnideen können auftreten. Die Rauschzustände werden häufig dysphorisch erlebt. Durch die meist ausgeprägten mnestischen Störungen kann das Erlebte nicht oder nur fragmentarisch erinnert werden. Positive Erlebnisse von Ich-Auflösung sind selten.
Es werden im Folgenden nur die Halluzinogene 1. Ordnung und ihre Wirkungen behandelt, da die Halluzinogene 2. Ordnung durch die oben genannten Einschränkungen, insbesondere durch das verminderte Gefühls- und Selbsterleben, die Trübung des Bewusstseins und die Gedächtnisstörungen, für psychotherapeutische Anwendungen wenig geeignet erscheinen.
Physiologische Wirkungen
Auf physiologischer Seite steht bei den Halluzinogenen der 1. Ordnung ein gesteigerter Sympathikotonus im Vordergrund, doch es finden sich auch parasympathikomimetische Komponenten. Schon dies deutet auf das komplexe Wirkungsbild hin, das nicht in einfachen Modellvorstellungen unterzubringen ist.
Der Organismus befindet sich im Zustand einer Aktivierung zentraler Funktionen, vor allem der Stimulation des aktivierenden Systems der Substantia reticularis des Stammhirns („arousal-reaction“ im EEG). Fast immer findet man eine Mydriasis. Alle anderen Symptome sind individuell sehr unterschiedlich stark ausgeprägt; oft treten sie auch gar nicht auf. Zu den möglichen Symptomen zählen Bradypnoe, Tachy- oder Bradykardie, Hypo- oder Hyperthermie, ferner Tränenfluss, Hitze- oder Kältegefühl, Schweißausbrüche, Kopfdruck, Bauchdruck, Piloerektionen, manchmal auch Übelkeit und Brechreiz. Diese Erscheinungen sind meist nur mild. Sie treten vor dem Einsetzen der psychischen Wirkungen am stärksten auf.
Psychosensorische Wirkungen
- Halluzinatorisches Erleben
Die halluzinatorischen Phänomene betreffen hauptsächlich die optische Sphäre; jene der anderen Sinne wie Hören, Geschmack und Geruch sind erheblich seltener.
Die „wie vor einem inneren Auge“ erlebten optischen Phänomene zeigen einen eindrucksvollen Reichtum. Sie gehen von einfachen Elementarhalluzinationen (Sprühen, Glitzern, Wirbeln usw.) über vielfache und vielfarbige Konturierungen der realen Umwelt bis hin zu reichhaltigen, feingegliederten, farbenprächtigen ornament- und kaleidoskopartigen Kompositionen.
Neben diesen abstrakt-formalen Elementen kommt es auch zu szenisch-gestalthaften Abläufen, ähnlich denen in hypnagogen Zuständen oder im Traum, mit ganzheitlichen, thematisch gegliederten Bildern und konkreten Inhalten und meist evidenter psychodynamischer Bedeutung.
Bei geöffneten Augen entstehen zunächst halluzinatorische Umformungen realer Gegenstände, die über Pseudohalluzinationen zu echten Halluzinationen übergehen können. Das Auftreten synästhetischer Wahrnehmungskoppelungen (z.B. Musik wird „gesehen“) ist eine weitere typische Komponente.
- Körpererleben
Angefangen von einer Fülle parästhesie-artiger Empfindungen (Kribbeln, Ameisenlaufen, Kälteschauer usw.) werden ungewohnte innere und muskuläre Spannungsgefühle, Lachzwang, seltsame Elektrisier- und Stromempfindungen oder wogenartige „Gefühlsfluten“ mit Lustempfinden und Wärme, die durch das Körperinnere ziehen, erlebt.
- Zeiterleben
Die Störung des Zeitsinns drückt sich meist in einer enormen Dehnung des Zeiterlebens bis zum Gefühl völligen Zeitstillstandes – von „Ewigkeit“ – aus. Oft entsprechen wenige Minuten einer subjektiven Dauer von Jahren. Allerdings kommen auch Beschleunigungen des Zeiterlebens vor.
- Denken
Die Denkstörungen sind hauptsächlich formaler Art. Der Abstraktionsgrad des Denkens nimmt ab und wird durch ein emotional betont bildhaftes Denken abgelöst. Bei geringeren Dosierungen ist der Gedankengang meist beschleunigt, assoziativ gelockert bis zur Ideenflucht, oft auch sprunghaft-inkohärent. In der Regel leidet das gerichtete Durchhalten eines Gedankengangs; Denkziel und Leitlinie gehen verloren oder wechseln häufig. Denkroutinen und Gedankenkreisen können verstärkt, aber auch aufgelöst sein.
- Affektivität
Dosisabhängig kommt es unter Halluzinogenen zu einer ausgeprägten Aktivierung der Affektivität, die eine Grundlage für viele der darauf aufbauenden Erlebnisveränderungen abgibt. Das Gefühlserleben kann alle gehobenen und gedrückten Stadien durchlaufen. So findet man auf der positiven Seite von flach-läppischer Euphorie über ruhig-beschauliche Heiterkeit bis zu tief beglückenden, in ernsthafter Seligkeit empfundenen mystischen Erlebnissen alle möglichen Übergänge. Auf der negativen Seite kann es von leichter subdepressiver Verhaltenheit über dysphorisch-missmutige oder grüblerisch-hilflose Gedrücktheit zu tiefen depressiven Stimmungen mit dem Gefühl der Verlorenheit, Ausweglosigkeit und inneren Entleerung kommen.
- Ich-Erleben
Das Ich als zentrale Instanz psychischen Erlebens wird strukturell gelockert und durchlässiger, es zeigt weniger Zusammenhalt, weniger Steuerung und ist mit dem Andrängen innerer Erlebnisinhalte befasst. Die metakognitiven Fähigkeiten sind generell geschwächt, aber die Lenkbarkeit mentaler Inhalte kann auch erhöht sein. Fast immer kommt es zu einem partiellen Zurücktreten des Ichs bzw. der Ich-Funktionen, was die Suggestibilität erhöht und zum Gefühl der „Ich-Auflösung“, das – je nach vorherrschender Affektlage – zu beseligenden Hingabe- und Verschmelzungserlebnissen oder zu psychotischen Angst- und Verlorenheitsgefühlen führen kann.
- Dosis, Selbstkontrolle und „reflektierender Ich-Rest“
Eine markante Eigentümlichkeit der durch LSD-artige Halluzinogene erzeugten Rauschzustände ist die Erhaltung einer kritischen Instanz mit Fähigkeit zur nüchternen Orientierung und Selbstkontrolle, der sogenannte „reflektierende Ich-Rest“ nach Leuner (1962). Ihm gegenüber ist das, was man als „erlebendes Ich“ bezeichnen könnte, gleichzeitig Subjekt oder gar Objekt der turbulenten halluzinatorisch-emotionalen Abläufe. Jener Ich-Rest als Kontrollinstanz geht meist erst bei hohen Dosen verloren.
Kognitive Wirkungen
Die kognitiven Wirkungen von Halluzinogenen sind vielfältig und können hier nicht ausführlicher behandelt werden. Daher sei lediglich festgehalten, dass es generell zu einer dosisabhängigen Einbuße an kognitiven Fähigkeiten bzw. kognitiver Schnelligkeit und Exaktheit kommt. Für einen Überblick verweisen wir auf die Darstellung in Hintzen und Passie (2010).
Klar belegt ist, dass die primitiveren Funktionen (z.B. Reaktionsgeschwindigkeit, psychomotorisches Geschick) weniger, die komplexeren Funktionen (z.B. Rechnen, Intelligenz) stärker beeinträchtigt werden.
Die umfangreichen Studien von Lienert (1964) konnten einen Strukturwandel der Intelligenzfähigkeiten aufzeigen. Die unter LSD-Wirkung stattfindende Rückbildung der Intelligenzleistungen eines Erwachsenen entspricht demnach dem Niveau eines Jugendlichen von etwa 12-14 Jahren. „The reduction of abstract and conceptual thinking is a primary effect of LSD ...“ (Lienert 1959: 464).
Es sei der Hinweis erlaubt, dass eine Testung mit konventionellen Tests für kognitive Leistungen zwar eindeutige Defizite zeigt, aber kaum in der Lage sein dürfte, produktive und kreativitätsbegünstigende Effekte nachzuweisen, die ja von „Irritationen“ sowie „ungewöhnlichen“ Gedankenbildungen und Assoziationen profitieren können (vgl. Krippner 1989).
Neurophysiologische Wirkungen und Wirkmechanismen
Zuerst wurden aufgrund extensiver und subtiler klinischer Beobachtungen Wirkmechanismen im therapeutischen Kontext beforscht und von Forschern wie Leuner (1962) und Grof (1978) dargestellt. Auch wenn die Beobachtungen und Konzeptualisierungen dieser Untersucher zeitlich lange zurückliegen, so haben sich doch die klinisch, das heißt die von außen beobachtbaren und aus dem Erleben der Probanden berichteten Erfahrungen naturgemäß kaum verändert. Es ist daher eine erneute Rezeption der grundlegenden Arbeiten dieser Autoren anzuraten.
Zur „Hauptzeit“ der Halluzinogenforschung (1950-1965) konnten nur ziemlich einfache neurophysiologische Untersuchungen angestellt werden, die wenig Aufschluss brachten. In den 1990er Jahren folgten erste bildgebende Untersuchungen von Hermle et al. (1992) mit Meskalin, von Franz Vollenweider (1997) mit Psilocybin und eine Vergleichsstudie von Gouzoulis-Mayfrank et al. (1999) zu Psilocybin, MDE und Methamphetamin. Später folgten dann Riba et al. (2006) mit Untersuchungen des Ayahuasca-Rausches mittels SPECT und fortgeschrittenem EGG. Seit den 2010er Jahren hat sich die Forschung verbreitert und verwendet nun auch die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT), um Durchblutungsveränderungen und die Interaktionen von Netzwerkstrukturen unter dem Einfluss verschiedener Substanzen zu messen.
Von erheblicher Bedeutung für die Aufklärung der Wirkmechanismen sind auch die Ergebnisse von Tierversuchen, in denen insbesondere die Interaktion mit bestimmten Rezeptoren und deren Folgewirkungen gezielt beforscht werden kann; bis hin zur Ausschaltung bestimmter Rezeptortypen durch genetische Manipulation (vgl. z.B. Winter et al. 2004).
Rezeptoren
Halluzinogene wie LSD und Psilocybin haben eine hohe Affinität zu Serotonin-Rezeptoren (= 5-HT-Rezeptoren) (Nichols 2004, Pierce & Peroutka 1989). Der primäre Wirkort scheint jedoch der 5-HT2A-Rezeptor zu sein; mit signifikanter Modulation über die 5-HT2C- und 5-HT1A-Rezeptoren (Fiorella et al. 1995, Vollenweider et al. 1998). Viele Halluzinogene haben eine höhere Affinität zu anderen 5-HT-Rezeptoren als zu 5-HT2A-Rezeptoren wie auch Wirkungen an dopamin- und adrenergen Rezeptoren (Nichols 2004). Die Aktivierung des 5-HT2A-Rezeptors scheint daher eine notwendige, aber nicht ausreichende Bedingung sein, um ihre Wirkungen hervorzurufen (Halberstadt & Geyer 2011, Meert 1996).
Wichtige Aufschlüsse können auch durch Experimente gewonnen werden, die einzelne Rezeptortypen blockieren, so dass dann indirekt erschlossen werden kann, welche Rezeptoren für welche Wirkungen eine Rolle spielen. So konnten Vollenweider et al. (1998) erstmals am Menschen demonstrieren, dass bei einer Blockade des 5-HT2A-Rezeptors die halluzinogenen Wirkungen ausbleiben.
Experimentell gewonnene Ergebnisse von Béïque et al. (2007) legen nahe, dass die 5-HT2A-Aktivierung die Aktivität neuronaler Netzwerke im präfrontalen Kortex direkt erhöht, wobei einige Populationen von 5-HT2A-aktivierten Pyramidenzellen eine bedeutende Rolle spielen (Halberstadt & Geyer 2011). Diese (übermäßige) Aktivierung kann präfrontale wiederkehrende Schaltkreise – vorwiegend über eine Hemmung – destabilisieren, was die sensorischen und kognitiven Wirkungen von Halluzinogenen erklären könnte (s.u.).
Die 5-HT2A-Aktivierung durch Halluzinogene verstärkt die glutamaterge Übertragung im präfrontalen Kortex (PFC), was zu Veränderungen der kortiko-kortikalen und kortiko-subkortikalen Übertragung beiträgt (Martín-Ruiz et al. 2001, Winter et al. 2004). Die Aktivierung von 5-HT2Aund 5-HT1A-Rezeptoren im medialen PFC (mPFC) hat auch nachgeschaltete Wirkungen auf die serotonerge und dopaminerge Aktivität durch absteigende Projektionen auf die dorsalen Raphe-Kerne und das ventralen tegmentale Hirnareal (Puig et al. 2003, Vollenweider et al. 1999).
5-HT2A-Rezeptoren sind im Thalamus weit verbreitet (Cyr et al., 2000). Der retikuläre Kern des Thalamus dient als eine Art „Tor“ für die Distribution und Verarbeitung von Sinnessignalen im Kortex (Behrendt 2003). Die thalamische „Filterfunktion“ wird wahrscheinlich durch die halluzinogen-induzierte 5-HT2A-Aktivierung vermindert (Vollenweider & Geyer 2001).
Forschungen am Menschen
Die ersten Untersuchungen mit bildgebenden Methoden stammen von Hermle et al. (1992), die mit der SPECT-Methode Veränderungen der Hirnaktivität unter der Wirkung des Halluzinogens Meskalin untersuchten. Sie fanden hauptsächlich eine Aktivierung der rechten Hirnhemisphäre und des Frontalhirns.
Der Schweizer Hirnforscher Vollenweider (z.B. 1997, 1999) führte ab 1995 eine Reihe von bildgebenden Untersuchungen des Hirnstoffwechsels unter der Wirkung von Halluzinogenen und Stimulantien durch. Er benutzte dafür die Positronen-Emmissions-Tomographie (PET). Diese Methode ist aufwändig, da sie unter anderem die Verwendung radioaktiv markierter Zucker-Moleküle voraussetzt, deren Verstoffwechselung im Gehirn dann untersucht wird. Bei der PET nutzt man also kein indirektes Maß wie die Durchblutung, sondern untersucht direkt den Stoffwechsel des Gehirns, der durch den Verbrauch der Zuckermoleküle messbar ist. Die Ergebnisse Vollenweiders (1997) bestätigen jene von Hermle et al. (1992). Sie zeigen eine diskrete Vermehrung der gesamten Stoffwechselaktivität des Gehirns mit einer ausgeprägten Aktivierung der rechten Hemisphäre, des Thalamus und der vorderen Hirnregionen.
Veränderung der Hemisphärendominanz
Aus experimentellen Studien ist bekannt, dass die rechte Hirnhälfte stärker als die linke beim Erleben von Gefühlen beteiligt ist. Zudem scheint ein zentrales Netzwerk, welches für die Steuerung der Aufmerksamkeit zuständig und in der rechten Hemisphäre lokalisiert ist, während bestimmter veränderter Bewusstseinszustände stärker aktiviert zu sein (z.B. Hermle et al. 1992, Vollenweider et al. 1997).
Goldstein (1973) konnte anhand von EEG-Befunden nachweisen, dass die Aktivierung der rechten Hirnhälfte während veränderter Bewusstseinszustände zur Umkehrung der Hemisphärendominanz führt (gewöhnlich dominiert die Aktivität der linken Hemisphäre die Ausgestaltung unseres Denkens und Verhaltens). Das impliziert, dass es von der gewöhnlichen verbalen und rationalen Informationsverarbeitung durch die linke Hemisphäre zu einem Wechsel in einen nonverbalen Informationsverarbeitungsmodus kommt, durch den das Bedeutungserleben gesteigert wird. Eine Äußerung des Hirnforschers Joseph Bogen, der sich mit den Funktionen der beiden Hirnhälften beschäftigte, mag das verdeutlichen: „Jede Hirnhemisphäre repräsentiert die andere und die Welt in einer komplementären Form. Die linke repräsentiert das Selbst als einen Bestandteil der Welt und die rechte repräsentiert die Welt als einen Bestandteil des Selbst“ (Fischer 1973: 41, Übersetzung T.P.). Diese komplementäre Funktionalität der Hemisphären macht vielleicht verständlich, warum ein Wechsel von deren Dominanz bis zu mystischen Erlebnissen führen kann.
Veränderung des regionalen Hirnstoffwechsels
Die Ergebnisse von Vollenweider et al. (1997) beziehen sich nicht nur auf die Aktivierung der rechten Hemisphäre. Zusätzlich zeigen sie auch eine Aktivierung paralimbischer Strukturen und verweisen auf Veränderungen bei der Verarbeitung innerer und äußerer Reize im Zentrum des Gehirns. In der als Thalamus bezeichneten umfänglichen und komplexen hirnanatomischen Struktur laufen praktisch alle von den Sinnesorganen und aus dem Körperinneren herkommenden Reize ein und werden dort, unter Einbindung von Feedbackschleifen zum Kortex, nach Bedeutung und Wichtigkeit sortiert und gefiltert. Diese Filterung im Thalamus steht wiederum unter dem Einfluss von Verbindungsschleifen mit dem Striatum und dem Großhirn, die diese Filterung beeinflussen. Durch die „Eingangsfilterung“ wird sichergestellt, dass den für das bewusste Erleben zuständigen Hirnbereichen nur die wichtigen und überlebensrelevanten Reize zugeführt werden. Wird nun dieser Filtermechanismus gestört, kommt es zu einer Überflutung des Großhirns mit „unausgewählten“ sensorischen Reizen. Dies führt wahrscheinlich zu der bekannten Fragmentierung des Ichs und einer Störung kognitiver Funktionen. In der komplexen Sprache der Hirnforschung wäre dies folgendermaßen zu beschreiben: Die Filterfunktion des Thalamus steht unter der Kontrolle kortiko-striato-thalamischer Feedback-Schleifen. Die Hemmung erfolgt insbesondere über das Striatum (Nucleus accumbens und Putamen) und wird wiederum durch untergeordnete Schaltkreise moduliert. Mesostriatale und mesolimbische Projektionen liefern einen hemmenden dopaminergen Input an das Striatum und den Nucleus accumbens, der deren Aktivität reguliert. Unter normalphysiologischen Bedingungen ist dieser hemmende Einfluss durch einen glutamatergen exzitatorischen Einfluss von kortikostriatalen Bahnen gegenbalanciert. Mit anderen Worten: Die Zunahme des dopaminergen Tonus, die Aktivierung serotonerger Projektionen und die glutamatergen exzitatorischen Einflüsse führen zur Öffnung des thalamischen Filters (vgl. Vollenweider & Geyer 2001).
Es ist hier zu erwähnen, dass die Ergebnisse einer äquivalenten Studie von Gouzoulis-Mayfrank et al. (1999) etwas andere Ergebnisse als die von Vollenweider et al. (1997) erbrachten, aber in den wesentlichen Resultaten übereinstimmen.
Veränderung der Hirndurchblutung
Carhart-Harris et al. (2012) untersuchten mit der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) Veränderungen der regionalen Hirndurchblutung unter der Wirkung von LSD und Psilocybin. Die Ergebnisse zeigten Verminderungen der Durchblutung einiger Hirnareale unter Psilocybin, insbesondere in den Bereichen des anterioren und posterioren Cingulums sowie des medialen präfrontalen Kortex’. Außerdem fanden sie eine spezifische Aktivitätsverminderung in Regionen, die für die koordinierte Kopplung der Aktivität von Hirnarealen zuständig sind, den sogenannten „integrator hubs“. Allerdings wurde das Psilocybin intravenös (und damit anders als gewöhnlich per os) und in einer stark störenden Magnetresonanztomographen-Umgebung (Enge, Fixierung, sehr laute unregelmäßige Geräusche) verabreicht. Aus diesen und anderen Gründen wurden die Ergebnisse kritisch diskutiert (Halberstadt & Geyer 2012) und teils durch nachfolgende Untersuchungen erheblich modifiziert (Lewis et al. 2017). Diese späteren Studien zeigten eine Steigerung der Durchblutung im rechten Vorderhirn, im rechten Schläfenlappen beidseits und in der anterioren Insula während andere Hirnbereiche eine verringerte Durchblutung (linke Schläfen- und Scheitellappen, Okziptallappen, Amygdala beidseits u.a.) aufwiesen. Ähnliche Resultate zeigten sich in der Studie mit LSD von Müller et al. (2017).
Veränderungen des Zusammenwirkens von Hirnarealen
Ein weiterer neurobiologischer Ansatz für das Verständnis halluzinogen-induzierter Veränderungen der Hirnaktivität wurde am Imperial College (London) von der Gruppe um den Psychopharmakologen David Nutt angewandt. Diese Gruppe beforscht mit der fMRT seit etwa 2011 die Wirkung von Psychedelika wie Psilocybin und LSD an Gesunden.
Über die Messung von Durchblutungsveränderungen wurde von ihnen auch die „Vernetzung von Netzwerkstrukturen“ im Gehirn untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass die Art und Weise, wie die verschiedenen Hirnregionen gewöhnlich miteinander zusammenarbeiten (die sogenannte „funktionelle Konnektivität“), durch Halluzinogene stark verändert wird. Unter den Wirkungen von LSD und Psilocybin steht offenbar ein größeres Repertoire an funktioneller Konnektivität in den Netzwerken des Gehirns zur Verfügung als im normalen Wachbewusstsein. Gehirnregionen, deren Aktivität als Grundlage für den normalen Bewusstseinszustand dient, sind im Standard-Ruhenetzwerk (DMN) zusammengefügt. In diesem befinden sich auch wichtige „connector hubs“ befinden (Hagmann et al. 2008), die die Kommunikation und Integration verschiedener Hirnareale ermöglichen (Bullmore et al. 2009). Die hoch differenzierte Aktivität innerhalb des DMN ist Voraussetzung für die Stimmungsregulierung und für hochstrukturierte Konstrukte wie das Selbst (Gusnard et al. 2001) oder das Ich (Carhart-Harris & Friston 2010) sowie die Fähigkeit zu Selbstbezüglichkeit und Selbstreflexion (Raichle 1998). Die halluzinogen-induzierte Reduktion des Blutflusses in DMN-Regionen verändert die Integrität des DNM und führt dadurch zu einer „freieren, uneingeengten Kognition“ (unconstraint cognition) und einem veränderten Erleben des Selbst (Carhart-Harris et al. 2012a). Es scheint plausibel, dass Veränderungen der funktionellen Konnektivität zu Perspektivänderungen wie auch Neubewertungen von Situationen und Personen beitragen können (Carhart-Harris et al. 2014, Vollenweider & Geyer 2001, Carhart-Harris et al. 2012b).
Die zentralen Schaltpunkte im Gehirn, die das DMN-Netzwerk aufrechterhalten, werden unter der Wirkung von Halluzinogenen deutlich weniger durchblutet, so dass seine Infrastruktur nicht mehr aufrechterhalten werden kann (Carhart-Harris et al. 2016). Dadurch arbeiten die Hirnregionen auf eine zwar primitivere, aber vielfältigere Weise zusammen; wodurch es zu einer Verbreiterung der verfügbaren Assoziationen und einer „unconstraint cognition“, das heißt einem weniger eingeengten Denken und Empfinden komme.
Die Aufrechterhaltung des „Ichs“ wird geschwächt und die Ich-Umwelt-Grenze (mindestens partiell) aufgehoben. Die Studienergebnisse weisen darauf hin, dass die „Ich-Auflösung“ umso stärker ausfällt, je stärker der „Zerfall“ des Ruhenetzwerks ist. Gemäß diesem Modell kämen mystische Erfahrungen durch einen „Zusammenbruch des Ruhenetzwerks“ und der dadurch bedingten „Auflösung des Ichs“ zustande (Tagliazucchi et al. 2016). Allerdings führen solche Veränderungen der „funktionellen Konnektivität“ nicht automatisch zu einer „mystischen“ Erfahrung, sondern können – z.B. bei psychisch instabilen Personen oder unter ungünstigen Bedingungen – auch psychotisch-desorganisierte Zustände hervorrufen.
Überdies zeigte sich, dass unter moderaten Dosen von LSD oder Psilocybin die Vernetzung innerhalb der Netzwerke gelockert wird und sich die Netzwerke stärker untereinander verbinden. Der mindestens partielle Zerfall eines hochstrukturierten neurophysiologischen Konstrukts wie es das „Ich“ darstellt, ist dadurch leicht erklärbar. Auch die für die psycholytische Therapie beschriebene „seelenlösende“ Wirkung (= wörtliche Bedeutung von psycholytisch) mit einer „Auflockerung“ der Ich-Struktur bzw. des seelischen Geschehens wären damit erklärbar.
Die für die Halluzinogenwirkung typischen traumartigen Erlebnisveränderungen vermindern Realitätsbezug und Realitätstüchtigkeit, können aber auch zu neuen Assoziationen, Sichtweisen und Perspektiven führen. Nicht selten tritt unter therapeutischen Bedingungen ein starkes Verbundenheitserleben mit mystischen Qualitäten auf.
Wer an einer Übersicht zu den bildgebenden Untersuchungen mit Halluzinogenen interessiert ist, sei auf die gute Arbeit von Müller et al. (2018) verwiesen.
Zur Neurophysiologie therapeutischer Langzeitwirkungen von Halluzinogenen
Die Langzeitwirkungen von psychedelischen Gipfelerlebnissen („Peak-Experiences“) auf die Veränderung von psychologischen Merkmalen, Verhalten und emotionalem Grundton (Unger 1963, Griffiths et al. 2006, 2011, MacLean et al. 2011, Gasser et al. 2014) deuten auf anhaltende neurobiologische Veränderungen hin. Hypothetisch könnten LSD-ähnliche Halluzinogene in der Psychotherapie den Zustand der Patienten verbessern, indem sie eine eingeengte, fixierte und weniger dynamische neurobiologische Funktionsmatrix aufbrechen, die im pathologischen Fall von emotionaler Voreingenommenheit, veränderter Reaktionsfähigkeit und verminderter Flexibilität im emotionalen und kognitiven Bereich begleitet ist (Carhart-Harris et al. 2014, Vollenweider & Geyer 2001). Patienten könnten durch die Behandlung mit LSD-artigen Halluzinogenen vermutlich eine Flexibilität (zurück-)gewinnen, die bei Depressionen und Angststörungen nachweislich reduziert ist (Stuhrmann et al. 2011). Durch die Intensivierung der Affektivität und die Schwächung der Ich-Grenzen kann LSD auch als „Öffner“ für andere emotionale Grunderfahrungen fungieren und es den Probanden ermöglichen, perspektiven-verändernde Erfahrungen zu machen, „tiefere“ Einsichten zu gewinnen und neue Kräfte aus einem intensiven Erleben von Verbundenheit (sogenannte „mystische Erfahrungen“) zu schöpfen.
Eine weitere Hypothese zu den therapeutischen Langzeitwirkungen beruht auf der Tatsache, dass Patienten mit Depressionen und Angststörungen eine verringerte Aktivität im Vorderhirn zeigen, die nicht in der Lage ist, die zugleich bestehende Überaktivität innerhalb des Furchtzentrums des Gehirns (Mandelkern bzw. Amygdala) gegen zu regulieren (Hariri et al. 2006, Stuhrmann et al. 2011). Reduzierte präfrontale Glutamatspiegel sind mit einer abgeschwächten PFC-Aktivierung und einer verminderten Top-Down-Hemmung der Amygdala-Aktivität verbunden. Die Stimulierung der postsynaptischen 5-HT2A-Rezeptoren im Vorderhirn durch Halluzinogene erhöht die glutamaterge Netzwerkaktivität und kann so die emotional-kognitive Verzerrung verringern, indem die Aktivität des Vorderhirns gestärkt und dadurch das depressions-/angstbedingte Ungleichgewicht zwischen dem Vorderhirn und dem Furchtzentrum umgekehrt wird (Vollenweider & Kometer 2010).
In Bezug auf die psychologischen Langzeiteffekte ist es auch möglich, dass die Verabreichung halluzinogener 5-HT2A-Agonisten einen wichtigen Nervenwachstumsfaktor (BDNF) des Gehirns in verschiedenen Hirnregionen erhöht. BDNF wird in hohen Konzentrationen im Hippocampus und in der Großhirnrinde exprimiert und reguliert das Wachstum von Synapsen und Nervenzellen. Die Expression von BDNF-mRNA ist als Reaktion auf Stress, Depression und Trauma erhöht (Jiang & Salton 2013) und spielt beim Lernen und Gedächtnis eine Rolle (Adlam & Zaman 2013). Eine wiederholte Verabreichung führt zu einer schnellen Desensibilisierung für die Steigerung von BDNF, aber es erscheint möglich, dass der erhöhte BDNF zu den anhaltenden psychologischen Wirkungen beiträgt (Vollenweider & Kometer 2010).
Machen Halluzinogene süchtig?
Die abhängigkeitserzeugenden Wirkungen von Pharmaka und anderen (Drogen-)Substanzen werden gewöhnlich durch Tierversuche ermittelt. In diesen Versuchen werden den Tieren die jeweiligen Substanzen angeboten, die sie sich durch einen Druck auf einen Taster selbst zuführen können. Abhängig von der untersuchten Substanz gibt es erhebliche Unterschiede im Verhalten der Tiere. Zum Beispiel führen Versuche mit Kokain zu einer massiven Selbstverabreichung und zwar so lange, bis die Tiere mit Krampfanfällen zusammenbrechen. Selbstverständlich gibt es auch schwächer abhängigkeitserzeugende Substanzen.
Ermöglicht man Tieren dagegen die Selbstverabreichung von Halluzinogenen, so beobachtet man nur ein einmaliges Betätigen des Tasters und dann nie wieder. Das ist vermutlich auf die psychisch und kognitiv erheblich irritierenden Wirkungen zurückzuführen und bedeutet, dass die Halluzinogene im Tiermodell nicht für die Erzeugung einer Abhängigkeit und deren Untersuchung geeignet sind.
Auch beim Menschen wurde bislang keine körperliche Abhängigkeit oder ein Entzugssyndrom durch Halluzinogene festgestellt. Dazu kommt die sehr schnelle Toleranzentwicklung bei fast allen Halluzinogenen: Jeden Tag müsste die Dosis mindestens verdoppelt werden, um noch eine merkbare Wirkung zu erzeugen. Innerhalb von Wochen wäre man also bei unrealistischen Riesendosen. Die wenigen während der Hochzeit der Hippiebewegung in den USA beobachteten Fälle von mindestens psychischer Abhängigkeit dürften, soweit beurteilbar, wohl eher auf eine schon vorher bestehende Persönlichkeitsproblematik zurückzuführen sein.
Aufgrund des praktisch nicht vorhandenen Abhängigkeitspotentials von Halluzinogenen hat auch die WHO die Diagnose „Halluzinogenabhängigkeit“ aus der Neubearbeitung ihrer Diagnosenklassifikation (ICD-11) entfernt.