Einige aktuelle Probleme und Unfälle mit der „psycholytischen Therapie“

Von Prof. Dr. Torsten Passie

 

An dieser Stelle soll nicht über technische Probleme der psycholytischen Therapie gesprochen werden, sondern über einige Probleme, die seit den 1990er Jahren in der Schweiz bzw. Deutschland unter unkontrollierten Umständen in der Illegalität zustande gekommen sind. Von daher handelt es sich nicht um „Probleme der psycholytischen Therapie“ an sich, sondern um solche, die von Ärzten/Psychologen/Heilpraktikern verursacht wurden, die ihre Verwendung psychoaktiver Substanzen von sich aus unter die Bezeichnung „psycholytische Therapie“ gestellt haben. Die Darstellung will unterrichten über mögliche Gefahren, die von einer „verfremdeten“ Anwendung psychoaktiver Substanzen ausgehen können. Um die betreffenden Sachverhalte darzustellen, ist zunächst ein Rückgriff in die Geschichte notwendig. 

 

Dr. Peter Baumann und die Schweizerische Ärztegesellschaft für Psycholytische Therapie

Im Jahre 1985 startete der Schweizer Psychiater Dr. Peter Baumann eine Umfrage unter Schweizer Ärzten und Psychiatern mit dem Ziel herauszufinden, ob es ein Interesse an der psychotherapeutischen Verwendung von LSD gäbe. Auf die Umfrage reagierten etwa 30 interessierte Ärzte, die sich bald zu einem informellen Treffen verabredeten. 1986 wurde von diesen Ärzten die Schweizerische Ärztegesellschaft für Psycholytische Therapie (SÄPT) gegründet. Diese wuchs in den folgenden Jahren auf etwa 50 Ärzte an, die teils auch aus Deutschland stammten. In den folgenden Jahren bemühten sich einige Ärzte der SÄPT in Verhandlungen mit den Behörden, eine Sonderbewilligung für die Verwendung von MDMA und LSD zu erhalten. Im Jahre 1988 wurde tatsächlich fünf Psychiatern von den Schweizer Behörden eine Sonderbewilligung für die Verwendung von MDMA und LSD im Rahmen von Psychotherapien erteilt. Die Behandlungen sollten in den Praxen der betreffenden Ärzte stattfinden. Bei den Psychiatern handelte es sich um die Schweizer Ärzte Dr. Peter Baumann, Dr. Marianne Bloch, Dr. Jörg Roth, Dr. Juraj Styk und Dr. Samuel Widmer.

 

Dr. Baumann und der Ibogain-Todesfall 1992

Für den hier zu skizzierenden Zusammenhang sind vor allem Dr. Baumann und Dr. Widmer von Bedeutung. Beide begannen mit guten Vorsätzen und großem Engagement mit psycholytischen Therapien. Widmer startete sogar eine Ausbildungsgruppe für Psycholyse-Therapeuten. Doch zunächst zum Fall Baumann. Dieser hatte anfans ganz regulär psycholytische Einzel- und Gruppenbehandlungen durchgeführt. Nach einer Weile begann er auch die - nicht zur Verwendung zugelassene - Substanz Ibogain (aus der traditionell in Afrika bei Heilungsritualen eingesetzen Pflanze Tabernathe iboga) bei Therapien einzusetzen. Um nicht mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten, führte er die Behandlungen nicht in der Schweiz, sondern im nahen Frankreich durch. Bei einer dieser Gruppenbehandlungen verstarb 1992 eine Patientin unter dem Einfluss von Ibogain an Herzversagen. Daraufhin wurden alle Bewilligungen zurückgezogen und eine gerichtliche Untersuchung angeordnet. Nach einigen Monaten wurde von Seiten der Gerichtsmediziner mitgeteilt, dass man den Tod nicht ursächlich auf die Ibogain-Gabe zurückführe. Daraufhin erhielten nach weiteren Gesprächen mit den Behörden drei der fünf Psychiater ihre Bewilligungen zurück; doch nur um die aktuell in Behandlung befindlichen Patienten abzuschließen. 1993 erloschen die Bewilligungen und jegliche psycholytischen Behandlungen in der Schweiz wurden eingestellt. 

Berichtenswert ist, dass es durch gewisse Ungenauigkeiten im Text der Bewilligungen dazu kam, dass auch eine Weitergabe von Substanzen an Therapeuten möglich war, wenn diese in einer Art „Delegation“ durch einen der fünf Erlaubnisinhaber psycholytische Behandlungen durchführten (Benz 1992). Die Folgeerscheinungen bestanden in einer wenig kontrollierbaren Weitergabe von Substanzen und „Behandlungsberechtigungen“ (Hufschmid 1991).

Einer der betroffenen Psychiater, Dr. Juraj Styk, bemühte sich nach dem Entzug der Bewilligungen 1993 lange Jahre um eine Wiedererteilung. Die Behörden hatten unmissverständlich klargemacht, dass man erneute Bewilligungen ausschließlich für wissenschaftlich gestaltete Studien erteilen würde. Da die Finanzierung solcher Studien aufgrund der hohen technischen Voraussetzungen kaum möglich erschien, kam es im Gefolge lediglich zu ein, zwei Versuchen, im Rahmen psychologischer Diplomarbeiten eine solche Studie zu realisieren. Ein deutlich besser aufgestellter Versuch erfolgte um das Jahr 2000, wurde aber von der zuständigen Ethikkommission in Bern abgelehnt. 

 

Dr. Widmer, seine Schüler und eine von ihm inaugurierte „Lebensgemeinschaft“

Nachdem die Sonderbewilligungen entzogen worden waren, gab es trotzdem psycholytische Behandlungen in der Schweiz; nun allerdings im Untergrund. Einer der weiter praktizierenden Therapeuten war Dr. Samual Widmer. Er war einer der Initiatoren der Schweizerischen Ärztegesellschaft für Psycholytische Therapie (SÄPT) und hatte ein vielbeachtetes Buch über sein Verständnis der psycholytischen Therapie veröffentlicht (Widmer 1989). Waren einige seiner frühen Publikationen durchaus als wissenschaftlich anzusprechen, wandelte sich dies zusehends, und er publizierte seit den 1990er Jahren verschiedene Bücher, die sich vom wissenschaftlichen Kontext und Duktus lösten. Widmer war zur Zeit um die Jahrtausendwende ein enormes Charisma eigen, so dass er in seinen Zirkeln große Popularität besaß, nicht zuletzt auch durch die „Ermöglichung von Drogenerfahrungen“ für eine Vielzahl von mehr oder weniger ausgesuchten Personen. 

Nachdem seine erste (noch legale) Ausbildungsgruppe beendet war, begann er ab Mitte der 1990er Jahre im Untergrund Therapeuten nach eigenem Dafürhalten auszubilden. Zum Abschluss stellte er den „Ausgebildeten“ selbstgefertigte Zertifikate aus, in denen sie als ausgebildete „Psycholyse-Therapeuten“ bezeichnet wurden; ohne dass diese Zertifikate von irgendeiner relevanten Institution anerkannt waren. Doch nahmen die „Ausgebildeten“ aufgrund der „Beurkundung“ vermutlich an, dass sie die notwendigen Kenntnisse besäßen. Da die Ausbildung jedoch nicht wissenschaftlich fundiert war, viele wichtige Aspekte keine Berücksichtigung fanden und zudem viele Ausbildungsteilnehmer keine Ärzte waren und obendrein der Hauptteil der Ausbildung in der Einnahme von Substanzen unter der Ägide von Widmer bestand, waren Komplikationen durchaus vorhersehbar. Doch dazu später.

Widmer schrieb nicht nur weitere Bücher, sondern nutzte sein Charisma auch dafür, einige Dutzend Leute, die von den profunden Wirkungen der Substanzen fasziniert waren, um sich zu scharen und mit diesen eine seiner Ideologie konforme „Lebensgemeinschaft“ zu begründen. Deren Basis sah er vor allem in einer freieren Auffassung der Liebe (auch Sexualität) und einem auf Erfahrungen unter psychoaktiven Substanzen gegründeten Gemeinschaftsgefühl. Diese später als „Kirschblütengemeinschaft“ bekanntgewordene Gruppe versammelte etwa 200 gleichgesinnte Personen in einem Dorf bei Solothurn in der Schweiz. Seine Anhänger erwarben dort auch mehr als 30 Häuser, was Konflikte mit der einheimischen Bevölkerung mit sich brachte (Haefely 2016). Die Gemeinschaft scheint viele Kriterien von sektenartigen Gruppen aufzuweisen. So ist sie primär auf eine enges Binnenmilieu bezogen und nach außen ziemlich abgeschirmt. Sie folgt einer spezifischen Ideologie und betrachtet Außenstehende als „Unwissende“ (Gattiker 2002). Letzteres schon deshalb, weil diese mit dem intimen Erfahrungswissen der Substanzwirkungen nicht vertraut sind. Widmer selbst gerierte sich mehr und mehr als „allwissender Guru“, der zu allem eine Antwort zu wissen schien (vgl. Widmer-Videos bei yotube.com). Im Jahre 2016 starb Dr. Samuel Widmer an einem Herzinfarkt. 

 

Unfälle und Probleme durch von Widmer „ausgebildete“ Therapeuten

Ein weiteres Problem ergab sich durch die vom Widmer offenbar unzureichend ausgebildeten und im Untergrund agierenden Therapeuten. Zwei gravierende Problemfälle sind bekanntgeworden. 

Im ersten dieser Fälle hatte ein Arzt und Widmer-Schüler in einer illegalen Gruppensitzung mit psychoaktiven Substanzen zwei Menschen zu Tode gebracht, da er über unreichende pharmakologische Kenntnisse verfügte und seine Patienten massiv überdosierte. Außerdem hatte der Arzt offenbar selber in seiner Freizeit in erheblichem Maße illegale Substanzen konsumiert. Der Fall machte weithin Schlagzeilen und der betreffende Arzt wurde zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. 

Im zweiten Fall hatten andere Schüler von Widmer ein anscheinend längerfristig angelegtes „Ausbildungsseminar“ mit mehreren Wochenend-Sitzungen, bei denen jeweils unterschiedliche psychoaktive Substanzen eingesetzt wurde, in Deutschland veranstaltet. Bei einem der Wochenendseminare kam es zu einer massiven Überdosierung mit einem weitgehend unbekannten meskalin-artigen Halluzinogenen („2-CE“ und „Bromo-Dragonfly“), was wegen des medizinisch bedrohlichen Zustandes der Teilnehmer zu einem Großeinsatz von Polizei und Rettungskräften führte. Einige der Teilnehmer mussten für mehrere Tage wegen Zuständen massiver Übererregung, teils verbunden mit epileptischen Anfällen, auf Intensivstationen behandelt werden. Der Hauptveranstalter wurde 2017 angeklagt und strafrechtlich verurteilt.

In beiden Fällen wurden neue und weitgehend unbekannte psychoaktive Substanzen eingesetzt (Fall 1: Methylon, ein MDMA-ähnlicher Stoff, Fall 2: 2-CE, ein Meskalinderivat). Trotzdem waren bei den Veranstaltern offenbar basale pharmakologische Kenntnisse über die Substanzen nicht vorhanden und ihnen fehlte professionelle Ausbildung und fachliche Supervision. 

 

Was sich aus diesen Fällen lernen lässt

Es gibt eine Reihe von Aspekten, die sich anhand dieser Fälle lernen lassen:

1. Eine professionelle Ausbildung mit medizinischen Kenntnissen auf Facharzt-Niveau ist zwingend erforderlich. Dies sowohl um die pharmakologischen Wirkungen der Substanzen verstehen als auch medizinische und psychiatrische Indikationen und Kontraindikationen beurteilen zu können. 

2. Aus Sicherheitsgründen sollten nur in ihren Wirkungen, Nebenwirkungen und ihrer Toxizität lange bekannte und wissenschaftlich beschriebene Substanzen verwendet werden. Im ersten der beschriebenen Fälle fand z.B. die Tatsache keine Berücksichtigung, dass die Pharmakokinetik von Methylon und MDMA einem nicht-linearen Muster folgt. Dies hat hauptsächlich damit zu tun, dass durch diese Substanzen die sie abbauenden Enzyme gehemmt werden. Das heißt: Sobald die Substanz einmal gegeben wurde, sind die sie abbauenden Enzyme massiv gehemmt. Daher würde eine erneute Gabe während derselben Sitzung (im beschriebenen Fall zudem noch eine massive Überdosis!) zu einem sehr hohen Blutspiegel führen, da die gehemmten Enzyme die Substanz nicht mehr abbauen. Im zweiten Fall wurde eine weitgehend unbekannte Substanz (2-CE) massiv überdosiert. Die Substanz war bisher nicht in wissenschaftliche Untersuchungen bezüglich ihrer pharmakologischen und psychischen Wirkungen charakterisiert worden, so dass ihre Verabreichung an Menschen – selbst im verträglichen Dosierungen - ein wenig kalkulierbares Risiko darstellte.

3. Die Einbindung von Therapeuten in eine professionelle Struktur mit Supervisionen und Intervisionen ist eine qualitätssichernde Notwendigkeit. Dieser Standard gilt in Deutschland für jegliche ärztliche oder psychologische Psychotherapie. Dies kann einer möglichen „Diffusion oder Auflösung von Grenzen“ vorbeugen und psychotherapeutische Professionalität sicherstellen. Aus meiner Sicht wäre es der Sicherheit förderlich, wenn psycholytische Therapien im Rahmen von Kliniken durch Behandlungs-Teams durchgeführt würden.

4. Es sollte sich immer (auch im Fall von Ko-Therapeuten) um professionell ausgebildete ärztliche oder psychologische Psychotherapeuten handeln. 

5. Es sollte besonders darauf geachtet werden, dass die von den Patienten gemachten Erfahrungen stets unmittelbar nach den psycholytischen Sitzungen soweit als möglich integriert werden. Dies bedeutet, dass sie in einen individuellen psychotherapeutischen Interpretationszusammenhang gebracht werden und der Patient mit einer weitgehend nüchternen Sicht auf die Erfahrung konfrontiert wird. Religiösen oder esoterischen Interpretationen ist zu widerstehen, da diese realistischen psychotherapeutischen Veränderungsprozessen gewöhnlich eher hinderlich sind. Sollten derartige Interpretationen zum „üblichen Repertoire“ eines Therapeuten gehören, so ist dies nur noch begrenzt als Psychotherapie anzusprechen. Dann wäre fachlich auch die Verwendung der Bezeichnung psycholytische Therapie obsolet.

6. Den Wirkungen einiger psychedelischer Substanzen scheint eine Faszination eigen zu sein, die in wenig kontrollierten Umständen dazu führen kann, dass die Klienten von der veränderten - vielleicht tatsächlich „bewusstseinserweiternden“  - Selbstwahrnehmung (und anderen tiefen Erfahrungen) derart fasziniert sind, dass sie meinen, jener Therapeut, der ihnen die Substanz verabreichte, sei eine ganz besondere Person mit „gottähnlichen“ Eigenschaften. Dies sollte ein professioneller Psychotherapeut als Fehldeutung und Gefährdung der therapeutischen Beziehung erkennen. Er würde dies  in kritischer Weise zum Gegenstand psychotherapeutischer Erörterungen machen. Doch ist es offenbar so, dass nicht wenige Therapeuten eine solche Bewunderung (Stichwort „narzisstische Gratifikation“) gerne hinnehmen und sich im Besitz außergewöhnlicher Fähigkeiten oder eines besonderen Wissens wähnen. Solche „Größenideen“ beschädigen die Integrität des Therapeuten, können zu riskantem Verhalten verleiten und behindern die sachgerechte Patientenbehandlung. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass sich - auch professionelle - Therapeuten diesen „Versuchungen“ nicht immer entziehen können. Die Gefahr scheint zu steigen, wenn sie nicht über eine anerkannte professionelle Grund- und Zusatzausbildung verfügen. 

7. Es hat sich gezeigt, dass wenn es zu einer Verselbständigung der Gruppendynamik in Richtung „elitäre Gemeinschaft“ oder gar Sekte kommt, dies einhergeht mit der Vorstellung einer „Weiterentwicklung“ der Teilnehmer „über die Psychotherapie hinaus“. Hauptsache sind dann nicht mehr die mühsam kleinteilige Psychotherapie und Selbstveränderung, sondern das Gruppengeschehen zentriert sich um die „besonderen Erfahrungen“ und deren vermeintlichen Wert („Ich hatte Kontakt zu Gott“, „ich erkannte was Liebe ist“ usw.). Klar ist dem Kundigen, dass diese teils tiefgehenden und sehr beeindruckenden Erfahrungen auch zu Manipulation oder kontraproduktivem Gruppenzusammenhalt führen können. Daher wird ein seriöser Psychotherapeut bestrebt sein, diesen Tendenzen entgegenzuwirken.

 

Literatur

Deckwerth S,  Schnedelbach L (2009) Tödliche Therapie. Frankfurter Rundschau65. Jahrgang, Nr. 219 vom 21.09.2009, S. 30-31

Gattiker E (2002) Psychotherapie: Pillen und befreite Liebe. Der Beobachter Nr. 12/2002

Haefely A (2016) Das Dorf und der Guru. Der Beobachter, Ausgabe vom 14. März 2016

Available at https://www.beobachter.ch/burger-verwaltung/kirschblutengemeinschaft-das-dorf-und-der-guru, accessed 10-10-2017

Hufschmid PH (1991) Psychotherapie mit Drogen außer Kontrolle geraten? Tages-Anzeiger Zürich vom 16.08.1991

Meckel-Fischer F (2015) Therapy with substance. London, New York: Muswell Hill Press [dt. Therapie mit Substanz. Solothurn: Nachtschatten Verlag 2016]

Reuter H, Doeleke K (2015) Ein Trip mit Folgen. Hannoversche Allgemeine Zeitung Nr. 208 vom 07.09.2015, S. 4

Stamm H (2010a) Die Drogenheilerin vom Zürichberg. Tagesanzeiger Zürich, 18.01.2010

Stamm H (2010b) Therapeutin schluckte selbst auch Drogen. Tagesanzeiger Zürich, 19.01.2010

Steinschek U (2009) Psycho-Arzt gesteht Todes-Mix. BZ Berlin, Nr. 258/39 vom 21.09.2009, S. 1, 6-8

Waldrich H-P (2014) Gehirnwäsche oder Heilverfahren? Hamburg: Tredition GmbH

Widmer S (1989) Ins Herz der Dinge lauschen. Solothurn: Nachtschatten Verlag